Kursbestimmungen

Wenn man bei einem Törn weiss, wohin man will, bestimmt man zunächst den Kurs, mit dem man los­se­geln will. Dabei unterscheidet man drei Berechnungsmethoden, die man je nach Entfernung vom Start- zum Zielort anwendet. Als nächstes interessiert bei der Törnplanung die Entfernung zwischen den beiden Orten. Die kann man aber in keinem der hier dargestellten Fälle aus der Karte ablesen: man muss immer rechnen.

  1. Für kurze Entfernungen, d. h. wenn man die Erdoberfläche als eben annehmen kann, verwendet man die Methode der mittleren Breite. Diese Berechnung entspricht dem Ablesen des Winkels zwischen der Nordrichtung und der Verbindungslinie der beiden Orte auf der Seekarte. Die Mer­ca­tor-Projektion ist ja winkelgetreu, aber nicht flächengetreu (damit kann man Entfernungen nicht direkt aus der Karte entnehmen, weil der horizontale Maßstab vom Cosinus der Breite anhängt).
  2. Ist die Entfernung zu groß und muss man die Kugelgestalt der Erde berücksichtigen, rechnet man nach der Methode der Loxodrome. Die wird man anwenden, wenn Start- und Zielort nicht auf der gleichen Karte eingezeichnet sind.
  3. Schließlich für sehr weite Entfernungen — wenn man über mehrere Zeitzonen den kürzesten Weg sucht — verwendet man die Methode der Orthodrome.
Unter realen Bedingungen benötigt der Navigator noch ein paar Anpassungen:

Kürzeste Strecke aus den Ortskoordinaten (Orthodrome)

Um auf der kürzesten Verbindungslinie von A nach B zu kommen, muss man sich auf der Kugel auf einem Groß­kreis bewegen. Für Segler hat das den Nachteil, dass der Groß­kreis jeden Meridian unter einem an­de­ren Winkel schneidet, man also den Kurs kontinuierlich ändern muß (zur Berechnung der Loxo­drome, die einen konstanten Kurs fahren läßt).

Skizze Die Orthodrome liegt definitionsgemäß auf einem Groß­kreis und ist eine Seite im sphä­rischen Pol­drei­eck ABPol. Zur Be­rech­nung der Länge der Kurs­linie wendet man den Seiten­cosinus­satz an in der Form:

  • cos c = sin φA · sin φB + cos φA · cos φB · cos (λA - λB)
Zur Berechnung der Winkel im Poldreieck (die ja dem Start- und Ankunftskurs entsprechen) formen wir die Gleichungen des Seiten­sinus­satzes, die α bzw. β enthalten, um in:
Formel

Für die Berechnung der Kurse zwischen Start und Ziel wird nun ein Fixpunkt auf dem Kurs-Groß­kreis de­fi­niert, der ein rechtwinkliges sphä­risches Dreieck erzeugt, indem man vom Nordpol das (sphärische) Lot auf den Kurs-Groß­kreis fällt. Man nennt den Fixpunkt Scheitelpunkt, weil er dem Nordpol am näch­sten liegt, also der "höchste" Punkt des Groß­kreises ist. (Liegt auf der Kurslinie Land, über das man nicht segeln kann, nimmt man die der Kurslinie an nächsten liegende Landspitze als Scheitel und macht die Berechnung zwei Mal.) Vom Scheitelpunkt aus kann man die Längen von Wegpunkten mit vorgegebener Breite auf dem Groß­kreis berechnen und den Winkel, unter dem der Groß­kreis den Meridian des Weg­punk­tes schneidet. Aus diesem ergibt sich der Steuerkurs am Wegpunkt.

Der Scheitelpunkt

Skizze Der Scheitelpunkt ist eine Ecke in jedem der beiden recht­winkligen Dreiecke APS und BPS. Im Dreieck APS sind bekannt der Winkel α und die Seite AP. Im Dreieck BPS sind bekannt die Seite BP und der Winkel PBS (= 180° - β). In beiden Dreiecken ist der Winkel bei S gleich 90°. Mit den drei bekannten Stücken eines Drei­ecks kann man alle anderen berechnen.

Man stellt die Gleichungen für die unbekannten Seiten AS und BS auf (s. Neper´schen Regel und setzt sie in die Beziehung AS = AB + BS ein (AB ist die orthodrome Entfernung von A und B!). Nach ein bißchen Arithmetik erhält man:

Formel

Dabei ist φ A die Breite des Start- oder Zielortes (oder eines anderen Ortes auf dem Groß­kreis), und α ist der Startwinkel.

Die Wegpunktkoordinaten

Skize Da der Winkel PS(WP) definitionsgemäß ein rechter ist, sind alle roten Dreiecke, die einen Wegpunkt auf der (grünen) Kurslinie als Ecke haben, rechtwinklig. Bekannt sind in diesen Dreiecken der Winkel SP(WP) = λS - λWP, und die Seiten P(WP) = 90° - φWP und PS = 90° - φS. Mit der Neper´schen Regel findet man leicht die Formel:

  • Formel
Mit der analogen Überlegung erhält man als Formel für den Dreieckswinkel αWP beim Wegpunkt die Formel:
  • Formel
Beide Formeln eignen sich vorzüglich zur Berechnung mit dem Rechenschieber!

Beispielrechnung

3D Bild Die Fahrt soll von Porto in Portugal

  • φPorto = 41° 09′ 28,0″ N = 41,1578°,
  • λPorto = 008° 38′ W = -8,6333°
  • (südliche Breiten und westliche Längen werden negativ angegeben)
nach Port of Spain auf Trinidad
  • φPoS = 10° 40′ 19,9″ N = 10,6722°,
  • λPoS = 061° 32′ W = -61,5333°
gehen.

Die Entfernung c beträgt cos c = sin φPorto · sin φPoS + cos φPorto · cos φPoS ·  cos (λPorto - λPoS) =
= sin 41,1578° · sin 10,6722° + cos 41,1578° · cos 10,6722° · cos (-8,6333° - (-61,5333°)) =
= 0,6581 · 0,1852 + 0,7529 · 0,9827 · 0,6032 = 0,1219 + 0,4463 = 0,5678.
⇒ c = 55,4° = 3323′ = 3.323 sm.

Der Startkurs in Porto ergibt sich aus der Berechnung:

Formel
oder linearisiert:

  • cos β = [sin φPoS - sinφPorto · cos c] ⁄ cos φPorto · sin c =
  • = [sin 10,6722° - sin 41,1578° · 0,4618] ⁄ cos 41,1578° · sin 55,4° =
  • = [0,1852 - 0,6581 · 0,5678] ⁄ 0,7529 · 0,8231 =
  • = - 0,1888 ⁄ 0,6197 = - 0,3042
  • ⇒ β = 107,71°

Das Ergebnis ist β = 108°. Den Startkurs (relativ zur Nordrichtung) erhält man offensichtlich, wenn man den Dreieckswinkel von 360° abzieht: Startkurs = 360° - 108° = 252°.

Und der Ankunftskurs in Port of Spain wird berechnet aus der Formel:

Formel

Das Ergebnis ist α = 46,87°; der navigatorische Sachverstand sagt einem: der Steuerkurs ergibt sich durch Addition von 180°: Ankunftskurs = 180° + 46,9° = 227°.

Die Breite des Scheitelpunktes wird berechnet mit der Formel:

cos φS = sin α · cos φPoS = sin 46,87° · cos 10,6722° = 0,7172; φS = 44,1762°

Die Länge des Scheitelpunktes kann man nicht direkt berechnen (s. weiter oben auf dieser Seite), weil sie kein Winkel im Poldreieck ist. Aber das Dreieck APS ist ein rechtwinkliges Poldreieck, d. h. der Winkel ASP beim Scheitel ist 90°. Man findet also eine Beziehung für die Längendifferenz von Endpunkt zum Scheitel Δλ = λPoS - λS:

  • tan (λS - λPoS) = cot α ⁄ sin φPoS =
  • = cot 46,87° ⁄ sin 10,6722° = 0,937 ⁄ 0,185 = 5,065;
  • ⇒ λS - λPoS = 78,83°, und daraus
  • λS = 78,83° + (-61,53°) = 17,3°

Die Koordinaten des Scheitels sind also:
φS = 44° 10′ 34,3″ N,
λS = 017° 18′ E.

Berechnung von Wegpunkten auf der orthodromen Kurslinie

Mit den Koordinaten des Scheitelpunktes und der vorgegebenen Länge λWP eines Wegpunktes kann man mit dem Rechenschieber bequem die Breite φWP des Wegpunktes nach der oben angegebenen Formel berechnen. Da eine Segelstrecke von 3.300 sm etwa 3 Wochen dauert, wurden die Längen für 25 Weg­punkte berechnet. Dann kann man täglich den Kurs ändern.

Wegpunktkoordinaten und rwK am Wegpunkt
Breite Länge rwK am WP

41° 09′ 28,0″ -008° 38′ 00,0″ 252°
40° 37′ 28,9″ -010° 44′ 57,6″ 251°
40° 02′ 37,2″ -012° 51′ 55,2″ 250°
39° 24′ 48,3″ -014° 58′ 52,8″ 248°
38° 43′ 57,0″ -017° 05′ 50,4″ 247°
37° 59′ 58,1″ -019° 12′ 48,0″ 246°
37° 12′ 46,0″ -021° 19′ 45,6″ 244°
36° 22′ 15,2″ -023° 26′ 43,2″ 243°
35° 28′ 19,9″ -025° 33′ 40,8″ 242°
34° 30′ 54,7″ -027° 40′ 38,4″ 240°
33° 29′ 54,1″ -029° 47′ 36,0″ 239°
32° 25′ 12,8″ -031° 54′ 33,6″ 238°
31° 16′ 46,0″ -034° 01′ 31,2″ 237°
30° 04′ 29,5″ -036° 08′ 28,8″ 236°
28° 48′ 19,7″ -038° 15′ 26,4″ 235°
27° 28′ 14,1″ -040° 22′ 24,0″ 234°
26° 04′ 11,3″ -042° 29′ 21,6″ 233°
24° 36′ 11,1″ -044° 36′ 19,2″ 232°
23° 04′ 15,2″ -046° 43′ 16,8″ 231°
21° 28′ 27,0″ -048° 50′ 14,4″ 230°
19° 48′ 52,1″ -050° 57′ 12,0″ 230°
18° 05′ 38,3″ -053° 04′ 09,6″ 229°
16° 18′ 55,8″ -055° 11′ 07,2″ 228°
14° 28′ 57,8″ -057° 18′ 04,8″ 228°
12° 35′ 59,7″ -059° 25′ 02,4″ 227°
10° 40′ 19,9″ -061° 32′ 00,0″ 227°

Wenn man mit dem Rechenschieber diese Berechnung ausführt, legt man zunächst die Längen der ge­wünschten Wegpunkte in einer Tabelle fest, und berechnet im Kopf die Differenz λS - λWP und trägt des Cosinus dieser Differenz in die Tabelle ein. Da die Breite φWP des Wegpunktes nach der Formel

  • tan φWP = tan φS · cos(λS - λWP)
berechnet wird, in der tan φS eine Konstante für die Orthodrome ist, stellt man den Läufer über den Wert des Tangens der Scheitelbreite, und schiebt den Wert für cos(λS - λWP) aus der Tabelle auf der Zunge un­ter den Läuferstrich. Unter der 1 (oder 10) auf der Zunge findet man auf der Tangensskala den Winkel der Breite des Wegpunktes. Wenn man dessen Cosinus gleich notiert, kann man den zugehörigen Kurs­win­kel nach der Formel
  • sin α = cos φS ⁄ cos φWP
leicht ausrechnen.
λWP λS - λWP cos(λSWP) tan φWP φWP cos φWP

-008,63° 25,93° 0,8993 0,8738 41,1° 0,7530
-010,75° 28,05° 0,8825 0,8575 40,6° 0,7591
-012,87° 30,17° 0,8646 0,8401 40,0° 0,7657
-014,98° 32,28° 0,8454 0,8215 39,4° 0,7727
-017,10° 34,40° 0,8251 0,8017 38,7° 0,7802
-019,21° 36,51° 0,8037 0,7809 38,0° 0,7881
-021,33° 38,63° 0,7812 0,7591 37,2° 0,7965
-023,45° 40,75° 0,7576 0,7361 36,4° 0,8053
-025,56° 42,86° 0,7330 0,7122 35,5° 0,8145
-027,68° 44,98° 0,7074 0,6873 34,5° 0,8241
-029,79° 47,09° 0,6808 0,6615 33,5° 0,8340
-031,91° 49,21° 0,6533 0,6348 32,4° 0,8443
-034,03° 51,33° 0,6249 0,6072 31,3° 0,8548
-036,14° 53,44° 0,5956 0,5788 30,1° 0,8655
-038,26° 55,56° 0,5656 0,5495 28,8° 0,8764
-040,37° 57,67° 0,5347 0,5196 27,5° 0,8874
-042,49° 59,79° 0,5032 0,4889 26,1° 0,8984
-044,61° 61,91° 0,4709 0,4576 24,6° 0,9093
-046,72° 64,02° 0,4380 0,4256 23,1° 0,9201
-048,84° 66,14° 0,4045 0,3931 21,5° 0,9307
-050,95° 68,25° 0,3705 0,3600 19,8° 0,9409
-053,07° 70,37° 0,3360 0,3264 18,1° 0,9506
-055,19° 72,49° 0,3010 0,2924 16,3° 0,9598
-057,30° 74,60° 0,2655 0,2580 14,5° 0,9683
-059,42° 76,72° 0,2298 0,2232 12,6° 0,9760
-061,53° 78,83° 0,1937 0,1882 10,7° 0,9828

Auf der Orthodrome ändert man den Kurs im Verlaufe des Törns kontinuierlich von 252° bis 227°. Berechnet man den Kurs nach der Loxodrome, beträgt der konstante Kurswinkel 237°. Die Entfernung zwischen Porto in Portugal und Port of Spain auf Trinidad ist bei konstantem Kurs 3.348 sm, auf der Orthodrome nur 3.323 sm. Der Entfernungsunterschied beträgt also etwa 25 sm! Aber da man auf so einer Reise ja wenig zu tun hat, kommt die Rechnerei gelegen — für knapp einen Tag Zeitersparnis.

Interessanter wird der Unterschied beim Fliegen. Von New York (40° 43′ N, 74° 0′ W) nach Frankfurt ( 50° 7′ N, 8° 41′ O), oder nach Tokyo (35° 41′ N, 139° 46′ O) beträgt die Einsparung je ungefähr 70 sm. Aber auf diesen Strecken kann man nicht segeln.


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