Historische Einführung

Die Vorhersage von Gestirnskonstellationen zur Vorhersage der Zukunft ist wohl ein altes Grund­be­dürf­nis der Menschen. Vermutlich wurde die Trigonometrie zu diesem Zwecke entwickelt. Auf uns sind die Be­mü­hun­gen der Griechen, die von den Arabern verfeinert worden sind, zum Ende des Mittelalters ge­kommen. Das Problem waren die Genauigkeit der Vorhersage und der Rechenaufwand. Of­fen­sicht­lich mussten zum Berechnen Winkelfunktionen und ihre Zahlenwerte ermittelt werden. Hier taten sich Archimedes und seine Zeitgenossen hervor. So richtig in Schwung kamen die Astronomie — und die sphärische Trigonomie — mit der Erfindung des Buchdrucks in Schwung. Es entstanden Ta­bel­len­wer­ke der Sinuswerte (1457) und Rechenvereinfachungsmittel wie die Prosthaphairese (1634).

Der schottische Mathematiker John Napier beschäftigte sich mit der Vereinfachung der Be­rech­nun­gen (Nepersche Regeln) und er entwickelte Tabellen von Logarithmen der Sinuswerte, wodurch die auf­wän­dige Multiplikation vielstelliger Werte durch eine Addition ersetzt wurde. Inzwischen war bei den Welt­um­seg­lun­gen die Notwendigkeit entstanden, die geografische Breite des Schiffsorts zu be­stim­men. Da die ver­füg­baren Bücher in lateinischer Sprache geschrieben waren, war die Funktion des "Navigators" auf Adlige beschränkt, die die Lateinschule besucht hatten. Als die englische Königin Elisabeth I sich entschloss, Englands Zukunft in der Seefahrt zu suchen, war das Reservoir adeliger Söhne rasch er­schöpft. So kommt es, dass Edmund Gunter sein Lehrbuch zur Navigation in eng­li­scher Sprache schrieb und am Gresham College Kurse für Navigatoren an bot. Er propagierte logarithmische Skalen und einen Stechzirkel für die Rechnungen — die Funktion des Rechen­schie­bers.

Der Rechenschieber basiert auf den Logarithmen der natürlichen Zahlen. Die Logarithmen wurden um 1600 unabhängig von Jobst Bürgi und John Napier entwickelt und 1620 bzw. 1614 publiziert. Henry Briggs schlug die Logarithmen zur Basis 10 vor, die bis zur Verbreitung der Elektronenrechner ver­wen­det wur­den, und veröffentlichte 1617 die erste achtstelligen Logarithmentafel der Zahlen bis 1.000 (Briggs­sche Logarithmen). Dieses Werk wurde 1628 von Adrian Vlacq erweitert auf zehnstellige Lo­ga­rith­men der Zahlen bis 100.000.

Einen Abdruck der Briggsschen Logarithmentafel (bis 10.000) aus Edmund Gunters Buch " The General Use of the Canon and Tables of Logarithms" biete ich als PDF-Datei an. Dazu gehört die An­lei­tung (in altertümlicher, englischer Sprache).

Die Logarithmen erlauben einfaches Multiplizieren, Dividieren, Potenzieren und Radizieren (Wur­zel­zie­hen) durch Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren bzw. Dividieren. Das führte zur ersten Konstruktion eines Rechenhilfsmittels mit logarithmisch geteilten Skalen durch Edmund Gunter, bei dem auf lo­ga­rith­mischen Skalen mit dem Stechzirkel Strecken abgegriffen und addiert bzw. subtrahiert wurden. William Oughtred schlug 1621 gegeneinander verschiebbare Skalen vor, ehe Seth Partridge den modernen Re­chen­schie­ber konstruierte, und in seinem Buch The Description and Use of an Instrument called the Double Scale of Proportion. (1685) beschrieb. Zusätzliche Skalen wurden von Max Rietz vorgeschlagen und als "System Rietz" weit verbreitet. Zunächst wurde der Rechenschieber von Seeleuten und Kauf­leuten verwendet. Mit James Watt fand er auch Einzug in das Ingenieurwesen. (Siehe auch Geschichte des Rechen­schie­bers, Uni Greifswald)

Viele Hintergründe und Informationen bietet die Website der Rechenschieber-Sammler.


Biografische Notizen

Jobst Bürgi
(latinisiert Justus Byrgius), Schweizer Uhrmacher und Mathematiker, geb. 28.02.1552 (St. Gallen), gest. 31.01.1632 (Kassel). Baute als Hofuhrmacher des Landgrafen von Hessen-Kassel die ersten Uhren mit Se­kun­den­zeiger und die ersten Geräte zur Darstellung der Planetenbewegung im heliozentrischen Son­nen­sy­stem. [ zurück]
John Napier Lord of Merchiston
(latinisiert John Neper), schottischer Mathematiker, geb. 1550 (Edinburgh), gest. 07.04.1617 (ebenda). Entwickelte Logarithmentafeln und Regeln der sphärischen Trigonometrie (Nepersche Regel). Auf Napier geht die Kommaschreibweise der Dezimalbrüche zurück. Er entwickelte Hilfsmittel zur Multiplikation großer Zahlen: "Napir's Rods" und publizierte 1617 eine Anleitung in seinem Buch "Rabdologia" (= Rechenstächen von gr. rabdos = Stab und gr. logos = rechnen), die auf die vermutlich indische "Gittermethode der Mul­ti­pli­kation" zurück gehen. (Ausführliche Erläuterung bei Wikipedia.) [ zurück]
Henry Briggs,
englischer Mathematiker (London) und Astronom (Oxford), geb. Feb. 1561 (Yorkshire), gest. 26.01.1630 (Oxford). Ab 1597 Professor für Geometrie am Gresham College in London. Publizierte in Astronomie, Geografie und Navigation. Berechnete und veröffentlichte die ersten (modernen) dekadischen Lo­ga­rith­men­tafeln. [ zurück]
Adrian Vlacq,
niederländischer Mathematiker, 1600 (Gouda) - 1667 (Den Haag). Herausgeber von Logarithmen- und go­nio­me­trischen Tafeln, die in Europa weite Verbreitung fanden. [zurück]
Edmund Gunter,
englischer Theologe und Mathematiker, 1581 - 1626. Professor für Astronomie am Gresham College in London; gab Unterricht in Navigation für englische Kaptäne und entwickelte die damals üblichen Na­vi­ga­tions­in­stru­mente unter dem Eindruck der Logarithmen und der Mercatorprojektion zu Recheninstrumenten weiter. Die fünfte Ausgabe seiner gesammelten Werke (1673) liegt mir in gescannter Form vor. Kopien gebe ich gegen Unkostenbeteiligun (10 € plus Porto) gerne ab.[zurück]
William Oughtred,
englischer Theologe und Mathematiker, 1575 - 1660. Publizierte 1632 in seinem Buch "The Circles of Pro­por­tion and the Horizontal Instrument Invented, and the Uses of Both" eine Beschreibung des Vorläufers eines Rechenschiebers. [zurück]
Seth Partridge,
1603 - 1686. Das Oxford Dictionary of National Biography geht davon aus, dass es sich um den auf dem Kirchhof von Hemel Hempstead, Hertfordshire beerdigten Mathematiklehrer handelt. Er unterrichtete Arithmetik, Astronomie, Landvermessung, Trigonometrie und Navigation, und schrieb eine Anleitung zu Napir′s bones, eine Abacus-ähnliche Rechenvorrichtung zum Multiplizieren und Dividieren von bis zu zehnstelligen Zahlen. Im Jahr 1661 publizierte er das Buch The Description and Use of an Instrument called the Double Scale of Proportion, in dem er einen Rechenschieber mit zwei festen und einer dazwischen verschiebbaren Skala beschrieb: der erste Rechenschieber heutiger Bauart. [zurück]
Max Rietz,
1872 - 1956. Ingenieur, entwickelte für die Firma Dennert & Pape (Marke: Aristo) den Rechenschieber für den Maschinenbau. [zurück]

Valid HTML © Rainer Stumpe URL: www.rainerstumpe.de