Die Entwicklung der Trigonometrie

Die Ursprünge der Trigonometrie (von griechisch trigon = Dreieck) liegen im Dunkel der Geschichte. Ver­wen­det wurde sie (als ebene Trigonometrie) von Baumeistern und (als sphärische Trigonometrie) von Ast­ro­no­men. Die Bibel berichtet von den Chaldäern als Astronomen. Es gab in Babylon Tabellen der Daten von Sonnen- und Mondfinsternissen. Die Ägypter besaßen sicherlich trigonometrische Kenntnisse für die Ausführung der Bauten, haben aber wohl eher geometrische Konstruktionen entwickelt. Sie be­nutz­ten für das Verhältnis der Seitenlängen ihrer Bausteine das Wort Seqt, das den Cosinus bezeichnet. Die Griechen gingen die Mathematik systematisch an (Euklid, Archimedes, Apollonius), aber der Astronom Ari­starch hat als erster (˜ 275 v. Chr.) die Eigenschaften des rechtwinkligen Dreiecks zur Berechnung der Ent­fer­nungen von Sonne, Mond und Erde von einander eingesetzt. Hipparch und Theodosius haben zu­erst die Sehnen des Kreises zur Bestimmung des Zentriwinkels benutzt. Da Weltbild des Ptolemäus mit der Bewegung der Planeten in Kreisbahnen um die Erde machte es nötig, Kreisbogenlängen und Win­kel zu berechnen. Ptolemäus führte das durch Betrachtung von Kreissehnen durch (Satz des Ptolemäus) .

Die chaldäischen und die griechischen Erkenntnisse wurden von den Indern weiter entwickelt. Arya­bhata, Brahmaputra und Bhaskara führten die halben Sehnen als Funktion des halben Winkels ein und schufen so die Sinus-Trigonometrie. Arabische Mathematiker traten die Erbschaft der Griechen und Inder an und entwickelten Berechnungsmethoden. Al Battani nutzte die indische Sinusfunktion und führte die Begriffe Kotangente und Sekante ein. Abu'l Wafa führte die Tangensfunktiuon ein und stellte die tri­go­no­me­tri­schen Sätze und ihre Beweise zusammen, Dschabir Ibn Aflah unterschied vier Haupt­fälle in der ebenen Trigonometrie. Der persische Astronom Eddin Nasir Tusi betrieb die Trigonometrie als selbst­ständige Wissenschaft. Er behandelte schiefwinklige Dreiecke mit dem Sinussatz.

Italienische Kaufleute benutzten das trigonometrische Wissen der Araber seit dem 13. Jh. für die Navi­gation bei Handelsfahrten. Ihre Kenntnisse ließen sie gesuchte Navigatoren für die portugisischen For­schungs­reisen des 14. Jh. an der Westküste Afrikas sein. Regiomontanus' zusammenfassendes Werk war die Grundlage für die Entwicklung einer Navigation für die Entdeckungsfahrten des 15. Jh.

Im 15. Jh. wurde die Trigonometrie in Europa gefördert, wohl wegen ihrer Bedeutung in der Navigation und Vermessung (Geodäsie). Regiomontanus schrieb eine vollständige ebene und sphärische Tri­go­no­me­trie auf der Basis islamischer Werke. Damit löste sich die Trigonometrie von der ägyptischen Konstruktion (z. B. beim Kathedralenbau) und wurde in der Tradition der Chaldäer und Araber zur Rechenmethode. Nach­dem Johannes Kepler 1609 seine Gesetze der Planetenbewegung publiziert hatte, schrieb John Neper (1620 posthum erschienen) eine Anleitung zur Berechnung der Aufgaben im shärischen Dreieck, wobei er die von ihm entwickelten Logarithmen der Sinuswerte zur Vereinfachung der Rechnungen ent­wickelte. Richtig zum Durchbruch kam die shärische Trigonometrie durch Edmund Gunter, dessen Bücher erstmalig in englicher (und nicht wie damals üblich in lateinischer) Sprache die ebene und die sphärische Trigonometrie erklärte und die Neperschen Logarithmen nicht in lateinischer Sprache einer breiten Öf­fent­lich­keit zugänglich machte. Das ermöglichte der englischen Marine, nicht-adlige Kapitäne in Navigation auszubilden, und schließlich die Seeherrschaft zu erlangen.

Die heute noch verwendete systematischen Nomenklatur und Symbolik stammt von Leonhard Euler.


  • Quellen: H. Lieber, F. von Lühmann, Leitfaden der Elementarmathematik, 1912.
  • Dictionary of the History of Science, Macmillan, 1981.
  • Brockhaus Enzyklopädie, 2000.
  • Helmut Gericke: Mathematik in Antike, Orient und Abendland. Fourier Verlag, 2003.

Biografische Notizen

Apollonius (von Perge)
giechischer Mathematiker, geb. 262 v. Chr. in Perga (heute Türkei nahe Antalya), gest. 190 v. Chr. in Alexandia; faßte in seinem Werk Conica die Kenntnisse der Zeit zu Kegelschnitten (Ellipse, Parabel, Hyperbel) zusammen; wichtigste Quelle, da Euclids Werke nur unvollständig überliefert sind und zu dem Thema nichts erhalten ist. [zurück]
Aristarchos (von Samos),
griechischer Astronom, geb. um 310 v.Chr. auf Samos, gest. um 230 v. Chr.; Begründer des heliozentrischen Weltbildes (er nahm als erster an, dass die Erde und die Planeten um die Sonne kreisen), bestimmte den Abstand zu Sonne und Mond im Verhältnis zum Erdumfang (den Erathostenes (von Kyrene) wenig später recht genau bestimmte). [zurück]
Dschabir Ibn Aflah,
um 1150 in Sevilla. [zurück]
Aryabhata, indischer Mathematiker und Astronom,
geb. 21.03.476 in Kusumapura, gest. um 550. Gebrauchte als erster die Sinusfunktion, lehrte die Achsendrehung der Erde und löste Gleichungen durch Kettenbrüche. [zurück]
Al Battani
(Mohammed Ibn Djabir, latinisiert Albategnius) bedeutendster islamischer Astronom des Mittelalters, geb. vor 859 in Harran (Irak), gest. 929 bei Samarra. Bestimmte mit großer Genauigkeit die Parameter der Erdbahn: Jahreslänge, Schiefe der Ekliptik, Präzession der Äquinoktien, Entwickelte die sphärische Trigonometrie weiter und stellte einen Sternenkatalog auf. Er beeinflusste wesentlich die abendländische Astronomie und Trigonometrie. [zurück]
Acarya Bhaskara,
indischer Mathematiker und Astronom, geb. 1114, gest. um 1185. [zurück]
Brahmaputra,
indischer Mathematiker, 598 - 660. [zurück]
Chaldäer,
Gruppe aramäischer Stämme, seit dem 9. Jh. v. Chr. im südlichen Babylon bezeugt. Der Name wird synonym mit "Sterndeuter" verwendet; die C. hatten die Kalenderrechnung. [zurück]
Euklid
griechischer Mathematiker; um 300 v. Chr.; wichtiges Werk zur Geometrie, nur teilweise überliefert. [zurück]
Leonhard Euler,
Schweizer Mathematiker, geb. 15.04.1707 in Basel, gest. 18.09.1783 in St. Petersburg. Schuf über 900 Arbeiten in reiner und angewandter Mathematik, Physik, und Astronomie. [zurück]
Edmund Gunter
englischer Mathematiker, geb. 1581 in Hertsfordshire, gest. 1626 in London. Lehrer für Astronomie am Gresham College in London, in seinen Lehrbüchern zum Sector (1623) und zum Cross-Staff (1624) gab er zum ersten Mal in nicht-lateinischer Sprache die Euklidische Trigonometrie mit Rechenanleitungen wider; entwickelte verschiedene astronomische Instrumente für die Navigation und Sonnenuhren. Setzte logarithmisch geteilte Skalen zur Multiplikation durch Streckenaddition ein. Seine Werke werden vollständig auf dieser Website angeboten. [zurück]
Hipparch,
griechischer Astronom, nach 127 v. Chr. [zurück]
John Napier
(latinisiert Neper) Laird of Merchiston, schottischer Mathematiker, geb. 1550 Merchiston Castle, gest. 07.04.1617. Logatithmentafel 1614, Rechenstäbchen, Nepersche Regel.[zurück]
Ptolemäus
griechischer Methematiker und Astronom, geb um 100 n. Chr. in Ägypten, gest. nach 160 in Alexandria. Entwickelte das nach ihm benannte geozentrische Weltbild, das erst durch Kepler endgültig falsifiziert werden konnte. [zurück]
Regiomontanus
("Der Königsberger", Johannes Müller), Mathematiker und Astronom, geb. 06.06.1436 in Königsberg/Unterfranken, gest. 08.07.1476 in Rom. Trug wesentlich zur Erneuerung des mathematischen Wissens in der Renaissance bei. Präzisierte den Cosinussatz der sphärischen Trigonometrie und gab Emphemeriden Tabellen heraus, die von Kolumbus, da Gama und Vespucci verwendet wurden. [zurück]
Theodosius,
um 50 v. Chr. [zurück]
Eddin Nasir Tusi
1201 - 1274. Persischer Astronom, Mitglied der "Maragha Revolution" gegen das Ptolemäische Weltbild, Wegbereiter des Copernikanischen, heliozentrischen Weltbilds. [zurück]
Abu'l Wafa,
940 - 998 persischer Astromon und Mathematiker in Bagdad; erfand die Tangensfunktion und erstellte Tabellen der trigonometrischen Funktionen mit 8 Dezimalstellen. [zurück]

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