Die Größe der Winkelfunktionen

Die Sinus- und die Cosinusfunktion

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Zur Ableitung der Winkelfunktionen verwendet man einen Kreis mit Einheitsradius r = 1, in dem ein Strahl vom Mit­tel­punkt (im Gegen­uhr­zei­ger­sinn) umläuft. Der Einfachheit halber wird nur ein Viertel des Kreises (Quadrant) ab­ge­bil­det.

In einem Kreis mit dem Radius 1 (der Radius ist die Hy­po­te­nuse eines Dreicks) entspricht die Länge des Lotes (= Gegenkathete) dem Wert des Sinus, die Ankathete dem Wert des Cosinus.

Der Wert des Sinus beträgt 0 bei α = 0° und er beträgt 1 bei α = 90°; Der Cosinus ist 1 bei α = 0 und er ist 0 bei α = 90°. Wie man diese Zahlen berechnet, steht hier.

Eine Animation des Zusammenhangs gibt es hier.

Läßt man den Hy­po­te­nu­sen­strahl über den ganzen Kreis­bogen streichen und trägt die Längen sin α und cos α gegen den Winkel α, dann erhält man zwei Kur­ven, die zwischen 0 und 1 os­zil­lieren. Man sagt, die Funktionen sind zyklisch.

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Die Tangens- und die Cotangensfunktion

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Um die Abhängigkeit des Tangens (und Cotangens) gra­fisch darzustellen, müssen der Hypotenusenstrahl über den Kreisbogen hinaus verlängert werden und zwei Tan­gen­ten des Umkreises eingezeichnet werden. Die Haupt­tan­gen­te steht senkrecht auf der Ankathete, die Ne­ben­tan­gen­te ist parallel zu ihr. Der Wert des Tangens entspricht dann der Strecke auf der Hauptkathete von der ver­län­ger­ten An­ka­the­te bis zum Schnittpunkt mit der verlängerten Hy­po­te­nuse. Man sieht, dass der Tangens für α = 0° Null ist und für α = 90° unendlich groß.

Der Co­tan­gens entspricht in diesem Bild der Strecke auf der Nebenkathete vom Berührungspunkt mit dem Kreis bis zum Schnittpunkt der verlängerten Hypotenuse. Der Co­tan­gens nimmt Werte zwischen 0 (bei α = 90°) bis unendlich (bei α = 0°) an. Diese beiden Funktionen sind nicht­zyk­lisch.

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Für Winkel 0 < α < 360° sieht das Dia­gramm wie folgt aus. Ab bestimmten Werten für α werden die Werte für Tangens und Cotangens zu groß, um sie darzustellen. Die Tan­gens­funk­tion nimmt vor α < 90° und α < 270° unendlich große Werte an, und danach un­end­lich kleine; bei α = 90° und α = 270° ist sie unbestimmt. Deshalb sind die Tan­gens­ska­len auf dem Re­chen­schie­ber begrenzt auf Win­kel 5,5° > α < 85,5°.

Die Arcusfunktion

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Für das Rechnen mit dem Rechenschieber muss noch eine weitere Winkelfunktion erklärt werden. Die Skalen des Rechenschiebers beginnen für den Sinus und Tan­gens mit 5,5°, nicht mit 0°. Für Winkel unter 5,5° be­nutzt man statt der Länge der Sehne die Länge des Kreis­bo­gens (Arcus). Der Fehler ist wegen der eingeschränkten Genauigkeit des Rechenschiebers vernachlässigbar.

Die Tabellen der Funktionswerte des Sinus waren von höchster Bedeutung für die Astronomie und die Ent­wick­lung der Weltbilder. Es wurde viel Aufwand in ihre Ver­bes­serung und Genauigkeit gesteckt. Mit den Tabellen des Regiomontanus erreichte die Genauigkeit um 1475 ihren Höhepunkt bei ½°.

Das Bogenmaß

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Zu erwähnen ist noch, dass man Winkel statt in Grad auch in Bruchteilen des Vollkreises angeben kann. Dabei wird der Vollkreis mit 360° gleich 2π gesetzt (π ist ja mit dem Umfang durch die Umfangformel de­fi­niert: U = 2· π · r, wobei r der Radius (halber Durch­messer) des Kreises ist. Dieses Winkelmaß nennt man Bogenmaß.

Eine Anwendung sind Entfernungsangaben in See­mei­len. Der Erdumfang ist 360° · 60′ = 21.600 Bo­gen­minu­ten oder See­mei­len. Wenn man am Äquator — oder auf einem anderen Großkreis — eine Strecke von 15° fährt, so sind das 15°/360° · 21.600 sm = 900 sm.

Die Quadrantenregel und die Phasenbeziehungen

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Die Größen der Winkelfunktionen wurden im Bereich α = 0° - 90° (1. Quadrant des Voll­krei­ses) diskutiert. Betrachte wir die Größe der Winkelfunktionen im Bereich 0° bis 360° (Vollkreis). Wir erkennen:

erhalten wir die Beziehungen:

Für die anderen Winkelfunktionen kann man analoge Beziehungen ablesen. Es ergibt sich die Pha­sen­be­zie­hun­gen der Win­kel­funk­tionen.


Die Phasenregeln der Winkelfunktionen
  sin α cos α tan α cot α  

-sin α cos α -tan α -cot α Umklappungssatz
90° ± α cos α +sin α +cot α +tan α Drehungssätze
180° ± α +sin α -cos α ±tan α ±cot α
270° ±α -cos α ±sin α +cot α +tan α
360° ± α ±sin α cos α ±tan α ±cot α

Die Additionstheoreme und die Summe der Funktionen

Schließlich benötigt man zum Rechnen mit Winkelfunktionen noch die Ausdrücke für zusammengesetzte Winkel und für Summe und Differenz von Winkelfunktionen.

Additionstheoreme Summen der Winkelfunktionen

sin (α ± β) = sin α · cos β ± cos α · sin β cos (α ± β) = cos α · cos β ∓ sin α · sin β
Formel

[Zur Herleitung]

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Formeln für doppelte und halbe Winkelargumente

Zum eleganten Umformen von Gleichungen gibt es noch die Formeln für die trigonometrischen Funktionen der doppelten und der halben Winkel.

doppelte Argumente halbe Argumente

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Die Prosthaphairese

Aus den Additionstheoremen (s. o.) läßt sich noch ein interessantes Konzept zur Multiplikation von Winkel­funktionen durch Addition (gr. prosthesis) und Subtraktion (gr. apharesis) von Winkeln ableiten. Es soll von Johannes Werner aus Nürnberg im Jahre 1510 (nach anderen Quellen von Ibn Junis im 11. Jahrhundert) entdeckt worden sein. Damit wurden die Multiplikationen von Winkelfunktionen in den Formeln der sphä­ri­schen Trigonometrie etwas einfacher. Tycho Brahe jedenfalls propagierte diese Methode.

Die praktische Arbeit mit der Prosthapharese macht sich die Zusammenhänge zu nutze:

Mit Hilfe von Sinus-Tabellen konnte man so auch Zahlen multiplizieren: man suchte die zu den Zahlen ge­hö­ren­den Winkel in der Tabelle. Deutlich einfacher wurden die Berechnungen erst durch die Erfindung der Logarithmen durch Johann Napier, Henry Briggs und Jos Bürgi und deren Logarithmentabellen.


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© Dr. Rainer Stumpe, URL: https://www.rainerstumpe.de