Beobachtung der Gezeit

Mißt man über das Jahr stündlich die Wasserhöhe an einer Küste und schreibt die Wasserstände mit der Uhrzeit der Messung auf, so beobachtet man folgende Periodizität:

  1. es gibt täglich zwei Hochwasserstände,
  2. eines der beiden täglichen Hochwasser fällt höher aus als das andere,
  3. die Uhrzeit der gemessenen Hochwasserstände verschiebt sich um etwa ½ Stunde gegenüber dem Vortag,
  4. die relativen Höhen der Hochwasserstände unterliegen einem monatlichen Rhythmus (genauer: einem 28-Tage-Rhythmus), sie folgen etwa den Mondphasen,
  5. im Winter fallen die relativen Höhen der Hochwasserstände höher aus als im Sommer.

Schon die alten Griechen frugen sich: "wie kommt das?" und hatten ihre Theorie: Es liegt am Einfluß von Sonne und Mond. Erst Isaac Newton postulierte eine An­zie­hungs­kraft zwischen Massen, und nannte sie "Gravitation". Damit schien das Problem gelöst; war es aber nicht. Wenn der Mond mit seiner An­zie­hungs­kraft auf die Erde wirkt und die plastische Wasserschicht anhebt, warum gibt es dann zwei Hoch­wasser­stände pro Tag? Er steht doch nur einmal über einem Ort an der Küste.

So einfach ist auch die Newtonsche Physik nicht. Das Prinzip von action und reactio gilt nur in einem System, in dem keine anderen Kräfte wirken. Da sich Erde und Mond um sich selbst und umeinander drehen, gibt es außer der Gravitation noch die Zentri­fugal­kräfte. Und die Drehimpulse von Erde und Mond, die das Ganze noch verkomplizieren.

Für eine erste — qualitative — Erklärung des Gezeitenphänomens trennen wir die beiden Arten von Kräften: die Fliehkraft und die Gravitation.

Wie entwickeln sich die Wasserhöhen im Monatsverlauf? Ich habe für Gibraltar (36° 08' N, 005° 21' W) eine Tiden­tabelle beim Proudman Oceanographic Laboratory gefunden. Die Hoch- und Niedrig­wasser­zeiten und -höhen habe ich mit den Mond­sicht­bar­keiten zusammen für die Monate Mai und September 2007 in Dia­grammen dargestellt. (Größere Bilder durch Klick!)

Skizze Skizze

Im linken Bild sind die relativen Höhen und die Mondsichtbarkeit für den Monat Mai, im rechten für den Monat September aufgetragen. Die blauen Rauten sind jeweils das erste Hoch- bzw. Niedrigwasser, die roten Dreiecke das jeweils zweite Hoch- bzw. Niedrigwasser des Tages, die zugehörige Wasserhöhe über dem tiefsten mittleren Wasserstand liest man auf der linken Achse ab. Überlagert ist das Bild mit dem Mond (gelber Kreis), dessen Sichtbarkeit in Prozent auf der rechten Achse ablesbar ist. Null Prozent be­deu­tet Neumond, 100 % bedeutet Vollmond.


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