Abiturrede

von Axel Nitzschke

Geehrte Festgäste, hohes altes Haus!

es sind mir so viele Reden im Kopf herumgegangen, den Tag zu begehen, den Markstein zu setzen, den Anlaß zu würdigen, daß er mir schier zerbrochen wäre, wenn — ja, wenn ich mich nicht meiner Magister, Doktoren und Pfarrer entsonnen und mir ihre Haupthausregel, anzuwenden bei Besinnung und Betrachtung ins Gedächtnis zurückgerufen hätte: Stelle zuerst die W-Fragen, als da sind: Wer, warum, wozu, weshalb, was, wo, wie, wann et cetera.

Und es schied sich alles, was nicht Hand und Fuß hatte, das Unkraut verging: Rede Nummer 1: die kritische, boshafte, rach­süch­tige, giftige, gallige, aus zerknitterter Schülerseele alle Pädagogik verteufelnde — verworfen. Rede Nummer 2: die knar­ren­de,trübselige, leichenbittere, weinerliche, von der Höhe hoher Reifezeugnisreife diktierte — ausgeschieden. Rede Nummer 3: die fezige, popartige, happeningsche, würdelose, windige liederliche, leichtsinnige — disqualifiziert.

Der Sänger und der Maler, ihnen allein sei Raum gegeben. Laßt uns ein Lied singen ′zur Freude und Erbauung aller Wuze′, d.h.,aller jean-paulinisch vergnügter Schulmeisterlein, ein Lied auf die Schule, diesen Kosmos im Kleinen, diese Welt in der Welt, laßt uns ein Bild malen, mit den Farben der Verklärung das vergangene Jahrzehnt überschütten, auf daß im künftigen Jahrhundert uns etwas lächle von hinten.

Sonderbar ist es bestellt um uns Knappen, die man uns hier und heute zu Rittern schlägt, zu Rittern der Reife, und uns das Roß besteigen und mit fliegenden Fahnen ins Leben stürmen heißt — ich muß das meinige wohl etwas zügeln, sonst läuft der Gaul mit mir davon — sonderbar sag ich, weil wir unserer Großmutter mit wissender Wehmut zunicken, wenn sie uns sagt: Die Schulzeit ist die schönste Zeit; und neu ist das; noch nie dagewesen. Von so wenig Haßgefühlen gegen das Alte oder die Alten erfüllt, so wenig komplexiven Spannungen gepeinigt war keine Generation ehe zuvor, so daß uns nach Freud eine glücklichere, wenngleich we­ni­ger genialische Zukunft blüht. Doch weit mehr als das. Im Augenblick, da wir dem Ei entschlüpfen und den kalten Anhauch des Lebens spüren (hier eine kritische Zwischenbemerkung: Es ist noch die Frage, ob man uns nicht die Flügel gestutzt und uns zum gackernden, hüpfenden Hühnerleben bestimmt hat, oder ob wir Adler sind und heile Flügel haben zum Höhenflug) doch Kritik beiseite: im Augenblick des Erwachens, da wir des Traums gedenken, verwandeln sich unter der Hand, unwillkürlich, Begriffe wie "Die Schulfamilie", "Der Lehrkörper" in mystische Größen: das babylonische Urei, der altdeutsche Urhut sind ziemliche Bilder, angetan, dem Wesen der Schule, deren Aufbau klassisch ist von 1 bis 13, Ausdruck zu geben.

Hat an uns nicht Antwort gegeben auf die drei großen Menschheitsfragen?

  • Woher kommen wir: Aus der Kinderschule.
  • Was sind wir: Durchaus nicht unbegabt.
  • Wohin gehen wir: In die Lebensschule.

Und was war denn so ein Schultag? ein Gedicht in Penta- oder Hexametern, je nachdem ob wir fünf oder sechs Stunden hatten; eine kleine Abenteuergeschichte mit extemporalen Höhepunkten: ein Staffellauf der Lehrer, bei dem der Stab — die Klasse — alle ¾ Stunden von einem Läufer dem anderen übergeben wurde, ohne dabei jemals zu Fall zu kommen.

Sie besuchten uns wechselweise, setzten sich aufs oder hinters Katheder und erzählten uns — Märchen und Geschichten, von der Erbmasse der Drosophila, von Ciceros Handhabung des prädikativen Zustandsattribut, vom letzten Krieg, von der wun­der­ba­ren Konstanz des Planckschen Wirkungsquants, von der Unfehlbarkeit des Papstes.

Schule ist Idylle. Und wem das neun Jahre lang verschlossen blieb, dem wurd′ es offenbar in der Stunde des Abiturs.

Es war der SSSV, der Schulsommerschlußverkauf, zu stark herabgegesetzten Preisen war alles zu haben. (Zweite kritische An­mer­kung: Das soll ein Abitur sein? in Nixerl im goldenen Büchserl wars, ein liebes Geschenk, eingewickelt in rosa Schleifen und Zeremonien. Doch Wut und Prügel sinds, die ich mir zuziehe von Abiturienten im Präsens und im Futur, schweig ich nicht still.)

Und nun ist einigen von uns der Bart gewachsen, und es ist Zeit geworden, Abschied zu nehmen, Abschied von gestern; Zeit auch der Worte ein Ende zu machen. Möge mir mein Deutschlehrer mein ungegliedertes, ungerupftes Gerede verzeihen, doch was von Herzen kommt, läßt sich nicht gliedern nicht rupfen.

Am Ende wär ich nun, wenn nicht die Eltern wären. So oft an den Schluß gestellt, so oft vergessen, sind sie, die gebangt und gesorgt haben, heute gekommen, uns zuzusehen. Und das Bild, das wir abgeben: Im Brennpunkt des Geschehens, halb aus- und halb eingebildet, von aller Welt teilnahmsvolle Anerkennung fordernd; hier tut es gut zu sagen: Vater und Mutter und wenn es et­was zu denken und zu danken gibt, dann unsererseits ganz unsererseits.

Und so schließe ich, wie ich begonnen, in froher Festlaune. Ich danke fürs Zuhören.


Diese Abiturrede von Axel Nitzschke (damals 13c) erschien 1968 — also im Jahr nach dem Abitur — im Homo Sapiens — Schülerzeitung am Hans-Sachs-Gymnasium, Nürnberg (Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des Autors). Die damals gültige Rechtschreibung wurde nicht geändert.


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Zuletzt geändert: 20.02.2017
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