Lateinstunde

Mit dem ersten Glockenton
kommt herein Herr Schilcher schon.
Bücher schleppt er unterm Arm.
Schweigen herrscht im Schülerschwarm
und ein jeder denkt mit Zagen:
"Was wird er heute wieder fragen?"

Nun legt er die Bücher schnelle
(denn sie sind der Weisheit Quelle)
auf die Bank des Richtzenhain.
Dieser schaut erschrocken drein,
denn auch er denkt an die Plage
einer ziemlich schweren Frage.

Inzwischen wurde schon verlesen,
wem etwas aufgebrummt gewesen.
Weiter geht′s mit Übungssätzen,
welche niemanden ergötzen
und bedient wird auch der Stolz,
ebenfalls der arme Golz.

Zur Freude vieler klopft es dann
an die Zimmertüre an,
doch leider war es nur Herr Jahn,
der in der Nummer sich vertan.
Der Wortschatz folgt jetzt, welch ein Graus,
ach wär′ doch schon die Stunde aus!

Hast du gelernt den Wortschatz nicht,
so bist du nun ein armer Wicht.
Das Großabfragen folget jetzt
und selten kommt man durch das Netz.
Es hagelt Übungen in Massen,
der Zettel kann sie kaum mehr fassen.

Dauernd schaut man auf die Uhr,
doch der Zeiger schleichet nur.
Herrn Schilchers Stimmung ist perdu:
"In der 3 b passiert das nie,
die Wörter werden stets gelernt,
was bei ′ner Arbeit man erkennt."

Mit "Donaweda" geht es weiter,
die Drohungen sind wenig heiter.
Doch endlich wird das Buch geschlossen
und weiter geht es unverdrossen.
"Wer kein Kapitel lernen will,
der halt seinen Mund sofort jetzt still!"

so droht Herr Schilcher jetzt uns an
und schreibt so groß er schreiben kann
mit seiner roten Kreide schon
die Grammatik der Lektion.
Einer hat sich′s doch gewagt,
hat zu dem Nachbarn was gesagt.

Sofort hat Schilcher ihn ertappt,
der Arme, der hat Pech gehabt,
denn viele Stunden muß er schwitzen
und über seiner Arbeit sitzen.
Beide Tafeln sind schon voll,
verschwunden ist des Lehrers Groll,
denn die Krone des Latein

ist und wird Grammatik sein.
Konjugieren, deklinieren
und manch schöne Form vorführen
füllt den Rest der Stunde aus.
"Zieht jetzt euren Block heraus!"
spricht Herr Schilcher,

"und schreibt drauf,
was ihr habt bis Dienstag auf:
Übersetzung 18 c,
dazu Wortschatz 19 b!"
Moral:
Nürnbergisch lernt sich wirklich schöner,
als die Sprach′ der alten Römer!


 

Dieses Gedicht erschien anonym in der Januar-Ausgabe 1963 des Homo Sapiens — Schülerzeitung am Hans-Sachs-Gymnasium. Nach meiner Erinnerung hatte der Mitschüler Martin Farnbacher (damals Klasse 5a) es verfaßt.


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Zuletzt geändert: 02.05.2017
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