Sieden, Kochen
Fervere, Effervescere, Ebullire

Wenn tropfbare flüssige Materien in offenen Gefäßen dem Feuer ausgesetzt sind, so nehmen sie immer mehr empfindliche Wärme an, bis sie endlich einen bestimmten Grad derselben erhalten haben. Bei diesem Grade geraten sie in eine heftige Bewegung, wobei von dem Boden des Gefäßes oder von dem Teile, der dem Feuer am nächsten ist, durchsichtige, elastische Blasen in großer Menge aufsteigen, die an der Oberfläche zerplatzen und einen sichtbaren Dampf bilden. Diese Bewegung heißt das Sieden oder Kochen des flüssigen Körpers. Ist der Körper einmal in diese Bewegung versetzt, so lässt sich alsdann seine fühlbare Hitze nicht weiter verstärken. Selbst das heftigste Feuer kann ihn nicht heißer machen, sondern unterhält nur sein Sieden so lang, bis alle flüchtigen Teile in Dämpfer verwandelt sind.

Wenn man flüssige Materien, z. B. Wasser, in Gefäßen nach und nach erwärmt, so zeigen sich schon lange vor dem eigentlichen Sieden eine Menge Luftblasen, die sich an die inneren Wände der Gefäße anlegen, zum Teil auch in die Höhe steigen und an der Oberfläche zerplatzen. Bei stärkerem Erhitzung werden diese Luftblasen immer häufiger, und brechen endlich beim Sieden selbst in der größten Menge aus, so dass das Kochen der beste Weg ist, Wasser, Quecksilber und mehrere Flüssigkeiten von der Luft, die sich in ihren Zwischenräumen aufhält (aër porositatis), zu reinigen. Dies ist aus der starken Ausdehnung der Luft durch die Hitze, welche ihre spezifische Schwere vermindert, sehr leicht zu erklären. Einige, zumal ältere, Physiker haben da ganze Phänomen des Siedens bloß dem Aufsteigen dieser Luftblasen zuschreiben wollen; aber eine genauere Untersuchung, lehrt gar bald, dass beim Sieden aufwallende Blasen größtenteils nicht aus Luft, sondern aus einem elastischen Dampfe bestehen, welcher durch eine Verbindung des Feuers mit der flüssigen Materie selbst erzeugt wird, und sich in der Kälte wieder in das vorige tropfbare Fluidum verwandelt, s. Dämpfe. Das Sieden entsteht also durch einen Wahre Verdampfung, wobei das Aufsteigen der Luftblasen nur ein begleitender Nebenumstand ist.

[Pieter van] Musschenbroek (1692-1761) beschreibt, was beim Sieden des Wassers vorgeht, auf solche Art. "Wenn das Wasser warm zu werden anfängt, steigen anfänglich bloß Luftblasen auf. Rückt man das Gefäß näher ans Feuer, so steigt das letztere durch mehrere Zwischenräume des Bodens in Gestalt von dünnen Fäden auf, welches des Wassers Durchsichtigkeit in etwas stören, aber sich doch durch die ganze Masse verbreiten. Zuletzt tritt das Feuer in größerer Menge unter der Gestalt von flockigten Fäden ein, die aber ungleichförmig aufsteigen und aus kleinen Bläschen bestehen. Es durchbricht das Wasser, erhebt es und bildet dadurch auf der Oberfläche hin und wieder wellen oder kleine Säulen, bis endlich die ganze Masse in Bewegung gesetzt wird, und ihre Durchsichtigkeit großenteils verliert." Hier sind die äußeren Erscheinungen des Siedens sehr richtig beschrieben, nur der Gedanke, dass das, was in Gestalt von Fäden aufsteigt, Feuer sei, ist hypothetisch. Musschenbroek erklärt sich darüber noch umständlicher. "Die Blasen," sagt er, "die am Boden entstehen, sind durchsichtig, und bestehen aus Feuer und der Art von Dampf, in welche die Wasserteilchen durch Berührung des Feuers verwandelt werden. Das Wasser kann nur eine gewisse Menge Feuer auflösen; daher verbreitet sich das überflüssige Feuer durch die ganze Masse, strebt durch alle Seiten, besonders aber durch die Oberfläche, auszugehen, und reißt aus dem Wasser eine Menge Teile in Gestalt des Dampfs mit sich fort. Dieser dampf steigt in sehr ungleichförmiger Menge und Stärke auf, teils weil das Feuer ungleichförmig ausgeht, teils weil jedes Dampfteilchen von Elektrizität umhüllt sein muss." man sieht an dieser Stelle alle die mechanischen Ursachen vereinigt, denen man damals das Aufsteigen der Dünste und Dämpfe zuschrieb, Stoß des Feuers, Verwandlung in hohle Bläschen, umdrehende Bewegung der Wasserteilchen, Elektrizität. Statt dessen erklärt man jetzt die Verdampfung weit wahrscheinlicher aus einer chymischen Verbindung der tropfbaren Flüssigkeit mit dem Feuer.

Das Sieden ist mit einem Geräusch begleitet, dessen Ton anfänglich höher und schwächer ist, bei völligem Kochen aber tiefer und stärker wird, übrigens sich nach der Größe, Gestalt, Materie und Dicke des Gefäßes richtet. Ohne Zweifel entsteht dieses Geräusch vom Zerplatzen der Blasen, die anfänglich kleiner sind und sich schneller folgen; dagegen das völlige Sieden größere Blasen mit langsamerer Sukzession bildet, die einen stärkeren, aber tieferen Ton geben. Außer dem Waser sieden auch über dem Feuer der Wein, Weingeist, Essig, Milch, tropfbare Säuren und Laugen, die Öle, selbst das Quecksilber; aber jede dieser Materien bei einem anderen Grade der Wärme. Die zum Sieden in offenen Gefäßen erforderlichen Grade der Hitze werden gewöhnlich auf folgende Art angegeben:

Alkohol siedet bei 176 Grad nach Fahrenheit
gemeiner Weingeist siedet bei 180 Grad nach Fahrenheit
Regenwasser siedet bei 212 Grad nach Fahrenheit
Kuhmilch siedet bei 213 Grad nach Fahrenheit
Meerwasser siedet bei 218 Grad nach Fahrenheit
Potaschenlauge siedet bei 240 Grad nach Fahrenheit
Scheidewasser siedet bei 242 Grad nach Fahrenheit
Vitriolöl siedet bei 546 Grad nach Fahrenheit
Terpentinöl siedet bei 560 Grad nach Fahrenheit
Leinöl siedet bei 600 Grad nach Fahrenheit
Quecksilber siedet bei 600 Grad nach Fahrenheit

Durch viele Versuche scheint es zur Gewissheit gebracht zu sein, dass zur Verdampfung einer jeden Materie ein bestimmter Grad von freier oder fühlbarer Wärme erfordert werde. Diejenigen Teile des flüssigen Körpers, welche dem Feuer am nächsten sind, erhalten diesen Grad eher, und gehen dadurch zuerst in Dämpfe über, welche nun ihrer Leichtigkeit wegen in der übrigen flüssigen Masse als Blasen in die Höhe steigen. Aus dieser Erklärung des Siedens wird sehr begreiflich, warum sich der flüssige Körper, wenn er einmal siedet, nicht weiter erhitzen lässt. Nämlich alle Wärme, die man ihm über die zum Sieden nötige mitteilt, verwendet sich auf die Erzeugung von Dämpfen, welche den Körper sogleich verlassen; und in dem noch tropfbaren Rückstande kann eine größere Hitze nicht stattfinden, weil ihn diese sogleich in Dampf verwandeln würde. Daher behält der siedende tropfbare Teil einen bestimmten und begrenzten Grad der Hitze, den man seine Siedehitze, oder seinen Siedepunkt (punctum sive gradum ebullitionis) nennt.

So nehmen flüssige Körper während ihrer Verdampfung keinen höheren Grad der fühlbaren Wärme an, aus eben dem Grunde, aus welchem feste Körper während des Schmelzens ihre Wärme nicht ändern. Man benützt diese Beständigkeit der Siedehitze , besonders beim Wasser, teils zur Bestimmung eines festen Punktes am Thermometer, teils zu chymischen Operationen, bei welchen man die Körper eine Zeitlang einer bestimmten gleichbleibenden Hitze aussetzen will. Zu dieser letzten Absicht werden die Gefäße durch siedendes Wasser, in welchem sie stehen, erhitzt. Man nennt dies, so wie jede Veranstaltung, bei welcher die Gefäße in heißem Wasser stehen, ein Wasserbad oder Marienbad (balneum maris). Wasser, das man, selbst in den dünnsten Gefäßen, in kochendes Wasser setzt, kann darin nicht kochen, weil ihm das kochende Wasser seines Bades höchstens nur den Grad der Wärme mitteilen kann, den sein noch tropfbarer bleibender Teil hat, der also zur Verdampfung noch nicht hinreicht.

Es ist aber der Satz, dass die Siedehitze jeder flüssigen Materie bestimmt und beständig sei, einigen großen Einschränkungen unterworfen. Fürs erste bezieht er sich nur auf die Hitze beim stärksten und völligen Sieden. Es steigen schon Luftblasen, auch wohl Dampfblasen, lange vorher auf, ehe die übrigen Teile der Masse alle die Hitze erhalten, die sie ohne Verdampfung anzunehmen fähig sind; daher kann die Hitze vom ersten Anfange des Siedens bis zum stärksten Grade desselben noch merklich zunehmen. Dieser Spielraum des Siedepunkts ist, besonders bei den Ölen beträchtlich, welche desto schwerer verdampfen, und sich desto mehr erhitzen, je zäher sie sind. Da nun das Kochen selbst ihre Zähigkeit vermehrt, so ist es die natürliche Folge hiervon, dass sie noch während des Siedens selbst immer heißer werden.

Vornehmlich aber hängt der Grad der Siedehitze von dem Drucke ab, den eine kochende Materie, oder eine kochende Schicht derselben, zu tragen hat. Denn da sich die Dämpfe nur durch ihre Elastizität ausdehnen und aufsteigen, so muss durch stärkeren Druck von außen her die Verdampfung erschwert, bei geringerem Druck hingegen erleichtert werden. Wasser, das an der freien Luft zu sieden aufhörte, fängt unter der Glocke der Luftpumpe, wenn man die Luft herauszieht, von neuem an aufzuwallen, und siedet also bei einer geringeren Wärme, wenn es weniger gedrückt wird. Herr [Horace-Benénédict] de Saussure (1740-1799) beschreibt den Versuch von Franklin mit einer Glasröhre, an deren Enden sich luftleere halb mit Wasser oder Weingeist gefüllte Kugeln befinden. In diesen luftleeren Kugeln ist schon die bloße Wärme der Hand hinreichend, das Wasser zum Kochen zu bringen. Eben dies sieht man in den sogenannten Pulshammern oder Wasserhammern, welches luftleere hermetisch verschlossene Glasröhren mit etwas Wasser oder Weingeist sind. Im Gegenteil zeigt die [Denis] Papinische (1647-1712) Maschine, welchen ungemeinen Grad der Hitze das Wasser annehmen könne, wenn sein aufwallen und Verdampfen durch eine äu8ßere Gewalt unterdrückt wird.

Dass Wasser und Weingeist in luftleeren Gefäßen bei sehr geringen Wärme kochen, wird zum ersten male von [Christiaan] Huygens (1629-1695) erwähnt. Der Versuch scheint um das Jahr 1673 von Papin angestellt zu sein. Das Wasser kochte an einer Lichtflamme eine Viertelstunde lang, ohne dass das Glas mehr als lau ward. Nicht lange hernach erfand Papin auch seinen Digestor. Man kannte also den Einfluss des Drucks auf die Siedehitze des Wassers schon am Ende des vorigen Jahrhunderts; dennoch setzte [Isaac] Newton (1642-1726) in seinem am Leinölthermomater bestimmten Verzeichnisse der Grade der Hitze den Siedepunkt des Wassers schlechthin auf den 73sten Grad, ohne dieser Verschiedenheit zu gedenken.

Im Jahre 1702 fand [Guilaume] Amontons (1663-1705) bei seinen Versuchen, dem Thermometer feste Punkte zu geben, den Siedepunkt des Wassers in offenen Gefäßen bestimmt und unveränderlich. Er bewies sogar diese Beständigkeit durch eigene Versuche, und machte ein großes Wunder daraus, dass das Wasser, wenn es einmal siede, weiter nicht heißer werde. Allein [Daniel Gabriel] Fahrenheit (1686-1736) bemerkte an seinem Quecksilberthermometer im Jahre 1724, dass schon der Druck der Atmosphäre einen sehr merklichen Einfluss auf den Grad der Wärme des siedenden Wassers habe. Er zeigte dieses durch eine Art von Wasserthermometer, welches in kochendes Wasser gesetzt, viel höher steht, wenn das Barometer einen hohen Stand hat; und schlägt vor, dieses Thermometer so einzurichten, dass es im kochenden Wasser bei 28 engl. Zoll [2,54 cm] Barometerhöhe an der tiefsten Stelle der Röhre, und bei 31 Zoll an der höchsten stehe, damit man es so als eine neue Art von Barometer gebrauchen könne.

Hieraus folgt, dass man den Siedepunkt des Wassers, wenn er zum festen Punkte einer Thermometerskala dienen soll, allezeit bei gleichem Drucke der Luft, oder bei gleichem Barometerstand, bestimmen müsse.

Das auf hohen Bergen die Luft weniger drückt, so muss daselbst das Wasser eher sieden und weniger Hitze annehmen, als in den Ebenen am Fuß der Berge oder am Ufer des Meeres. [Pierre Charles] Lemonnier (1715-1799) brachte am 6. Oktober 1739 ein Quecksilberthermometer, das zu Perpinan bei der Barometerhöhe 28 paris. Zoll [2,707 cm] 2 Lin. [= 1 ⁄ 12 Zoll = 2,256 mm] Graduiert war, auf den Gipfel des Canigou in den Pyrenäen, wo der Barometerstand nur 20 Zoll 2½ Lin. Also fast 8 Zoll geringer, war. Als er es hier in kochendes Wasser senkte, stand es um 9 reaumurische, oder um 15 delislische Grade unter dem zu Perpignan bemerkten Siedepunkte. [Charles-Louis de] Secondat [Baron de Brede et] de Montesquieu (1689-1755) fand die Hitze des kochenden Wassers auf dem Pic du Midi um 18 fahrenheitische Grade geringer, als in der Stadt Begneres, und die Hitze des siedenden Weingeistes betrug auf eben diesem Berge nur 160 fahrenheitische Grade, da sie in Bordeaux deren 173 betragen hatte.

Herr [Jean-André] de Luc (1727-1817) hat diesen Gegenstand mit seiner gewöhnlichen Genauigkeit durch eigene neue Erfahrungen schärfer untersucht. Auf einer Reise von Genf nach Genua im Jahre 1762 beobachtete er die Wärme des siedenden Wassers an zehn Orten, und auf der Rückreise an 16 Orten von sehr verschiedenen Höhen mit einerlei Thermometer, an welchem der Abstand des jedesmaligen Siedepunktes vom Eispunkte durch einen Faden auf einem geteilten Maßstabe gemessen ward. Die Vergleichung der Resultate zeigte, dass die Unterschiede der Siedehitze den Unterschieden der Barometerhöhe nicht genau proportional sind, dass vielmehr bei gleichförmig abnehmender Barometerhöhe der Grad der Siedehitze in der Folge stärker, als im Anfange, abnimmt. Inzwischen traute Herr de Luc seinen Bestimmungen nicht schärfe genug zu, um das wahre Gesetz, nach welchem sich diese Unterschiede richten, genau daraus herleiten zu können, und setzte daher im Durchschnitte beide Unterschiede proportional, welches auch eben keinen beträchtlichen Fehler veranlasst, wenn man bloß die Berichtigung des Siedepunktes der gewöhnlichen Thermometer zur Absicht hat.

Nun fand er im Monat Mai 1762

Barometerstand Abstand des Siede- und Eispunktes
zu Turin 328¾ Lin. 822 Teile des Maßstabs
auf dem Mont Cenis 273¼ Lin. 782 Teile des Maßstabs
Unterschied 55½ Lin. 40 Teile des Maßstabs
im Monate August
zu Genua 341 Lin. 829 Teile des Maßstabs
zu Tovet-dessus 263¼ Lin. 773 Teile des Maßstabs
Unterschied 77¾ Lin. 56 Teile des Maßstabs

Im Durchschnitte verhalten sich also die Unterschiede der Barometerhöhen in Linien zu den Unterschieden der Abstände des Siedepunkts vom Eispunkt in Teilen des Maßstabs, wie 55½ +77¾ : 40 + 56, das ist wie 133¼ : 96, und eine Linie Barometerfall erniedrigt den Siedepunkt des Thermometers um 96 ⁄ 133,25 d. i. um 0,72 Teile des Maßstabs.

Setzt man mit Herrn de Luc ein für allemal fest, dass der Siedepunkt aller Thermometer bei 27 pariser Zoll (324 Lin.) Barometerhöhe bestimmt werden solle, so wird für diese Normalbarometerhöhe (welche um 17 Lin. Geringer ist, als die beobachtete zu Genua), der Abstand des Siedepunkts 829 - 17 · 0,72 = 816,8 Teile des delucschen Maßstabs betragen. Von diesem Fundamentalabstand machen 0,72 Teile den 1134sten Teil aus. Daher erniedrigt eine pariser Linie Barometerfall den Siedepunkt des Thermometers um 1 ⁄ 1134 desjenigen Fundamentalabstands, den man bei 27 Zoll Barometerhöhe gefunden hat, welches an der fahrenheitischen in 180 Grade geteilten Skala 180 ⁄ 1134 oder 10 ⁄ 63 Grad austrägt. Dennoch ändert sich der Siedepunkt bei einer Barometerveränderung von 27 bis 28 Zoll um 120 ⁄ 63 oder um 1,9 fahrenheitische Grade.

Kocht man z. B. Wasser an einem Tage oder Orte, wo das Barometer 28 Zoll hoch steht, so siedet es erst alsdann völlig, wenn ein bei 27 Zoll Barometerhöhe graduiertes Thermometer darin 213,9 fahrenheitische Grade zeigt. Oder zeigt das Barometer auf einem Berge nur 20 Zoll, so kocht das Wasser schon bei 212 - 7 · 1,9 = 198,7 Grad Wärme an einem solchen Thermometer.

Gebraucht man aber Thermometer, deren Siedepunkte bei anderen Barometerhöhen bestimmt sind, welche von 27 Zoll um ± a Lin. Abweichen, so muss man bedenken, dass der Fundamentalabstand dieser Thermometer selbst um < ⁄ 1134 des vorigen Abstands größer oder kleiner ist, oder 1134 ± a beträgt, wenn der vorige 1134 betrug. Was also 1 ⁄ 1134 des vorigen war, ist 1 ⁄ 1134 ± a des jetzigen. Daher erniedrigt eine pariser Linie Barometerfall den Siedepunkt überhaupt um 1 ⁄ 1134 ± a des auf dem Thermometer befindlichen Abstands zwischen Siede- und Eispunkt. Dies ist Herrn de Luc erste Regel.

Ex. Nach [Nevil] Maskelyne (1732-1811) bezeichnen die englischen Künstler den Siedepunkt, wenn das Barometer bei 30 engl. Zoll (d. i. bei 28 Zoll 1,8 Lin. Pariser Maß, oder 13,8 Lin. Höher, als 27 Zoll) steht. Für ein solches Thermometer ist also a = + 13,8. Einer pariser Linie Barometerveränderung kommt auf ihm 1 ⁄ 1134 + 13,8 oder 1 ⁄ 1148 Änderung des Siedepunkts zu. Für fahrenheitische Skala beträgt dies 180 ⁄ 1148 = 45 ⁄ 278 Grad. Steht nun das Barometer nur bei 27 pariser Zoll, oder 13,8 Lin. Niedriger, als bei der Verfertigung des englischen Thermometers, so kocht das Wasser schon, wenn das Thermometer 13,8 · 45 ⁄ 287 = 2,16 Grad unter 212 steht. So kommt der Siedepunkt der delucschen Thermometer mit 209,84 oder fast mit dem 210ten der englischen überein.

Herr de Luc behandelt in einer eigenen seinem Werke eingerückten Abhandlung diesen Gegenstand noch genauer, beschreibt einen eigenen Apparat zu Untersuchung der Siedehitze des Wassers auf Bergen, und meldet, seine Regel treffe bei großen Änderungen des Barometerstandes nicht mehr zu. Dies zeigte schon Le Monniers Versuch auf dem Canigou, wo der Siedepunkt der Regel gemäß um 96,150 ⁄ 1134 = 12,7 delislische Grade tiefer stehen sollte, in der Tat aber um 15 solcher Grade niedriger gefunden ward. Bei einem bis auf 2 Zoll Quecksilberhöhe verminderten Druck gibt die Regel die Siedehitze = 80 - 300,80 ⁄ 1134 = 58,9 Grad der Skala von 80 Graden: aber bei Herrn [Georg Christoph] Lichtenbergs (1742-1799) Versuchen kochte das Wasser, wenn der Druck der Luft bis auf zwei Zoll vermindert war, schon bei 32 Grad dieser Skala. Herr de Luc ordnet also seine Beobachtungen, sucht das Gesetz auf, nach welchem die Siedehitze bei selbigen vom Barometerstande abzuhängen scheint, und findet endlich folgende Formel (wo b den Barometerstand in Sechzehnteilen der pariser Linie bedeutet, und die Siedehitze in Graden bei 27 Zoll Barometerhöhe bestimmten Skala von 80 Graden ausgedrückt wird.

  • ☉) Siedehitze = 99 ⁄ 2 · log b - 103,87

Ex. Die Barometerhöhe sei 28 Zoll 1,8 Lin. Also b = 5404,8 Lin. Man nehme hiervon den Logarithmen hundertfach

100 log b = 373,27796
log b = 3,73,278
   
99 log b = 369,54518
   
99 ⁄ 2 log b = 184,77259
  - 103,87
   
Siedehitze = 80,90 Grad

Noch leichter wird alles, wenn man b nicht in Sechszehntteilen, sondern in ganzen Linien und Dezimalteilen ausdrückt. In der Formel ändert sich dadurch nur dies, dass statt 103,87 jetzt 44,266 abgezogen werden muss.

Herr de Luc gibt noch eine andere Formel, die sich auf Betrachtung der physischen Ursachen des Phänomens, auf einen äußerst mühsamen Versuch und auf ein paar angenommene Sätze gründet. Die Ursachen der verschiedenen Siedehitzen sind, weil Hitze, in der das Wasser kochen sollte, durch den Druck der Luft vergrößert, und zugleich durch den Verlust an Wärme, den die der Luft ausgesetzte Oberfläche leidet, vermindert wird. Der Versuch ward mit einem von Herrn de Luc selbst bereiteten Wasserthermometer angestellt, das unglaubliche Arbeit erforderte. Dadurch zeigten sich die Größen der Veränderung durch Druck allein, ohne Verlust der Wärme. Ohne allen Druck und Verlust kochte das Wasser bei 78 Grad. Angenommen ward, die Verstärkung der Siedehitze durch den Druck verhalte sich direkt, der Verlust umgekehrt, wie der Druck. Die Untersuchung führte endlich auf nachstehende Formel (wo b den Barometerstand in Linien bedeutet).

  • ☽) Siedehitze = 78 + 0,03642 · b - 3175,2 ⁄ b Grad

Ex. Wenn b = 28 Zoll 1,8 Lin. = 337,8 ist, so wird der Formel zweites Glied = 12,303, das dritte = 9,4; also ist die Siedehitze = 78 + 12,303 - 9,4 = 80,9 Grad, wie oben.

Die beiden Formeln ☉) und ☽ treffen für Barometerstände von 28 Zoll 3 Lin bis 19 Zoll ziemlich genau zusammen, wie die von de Luc mitgeteilte Tabelle zeigt. Für sehr niedrige Barometerstände würden sie sich freilich ansehnlich voneinander entfernen. In der Strenge also können unmöglich beide wahr sein; ob man gleich für die Grenzen der gewöhnlichen Beobachtungen mit jeder ausreicht.

Herr [Johann Friedrich] Luz hat aus ihnen folgende Tabelle berechnet

b Siedehitze b Siedehitze b Siedehitze

336 80,78 324 80,00 313 79,26
335 80,72 323 79,93 312 79,19
334 80,65 322 79,87 311 79,12
333 80,59 321 79,80 310 79,05
332 80,53 320 79,73 309 78,98
331 80,46 320 79,73 308 78,91
330 80,40 319 79,67 307 78,84
329 80,33 317 79,53 306 78,77
328 80,26 316 79,46 305 78,70
327 80,20 315 79,40 304 78,63
326 80,13 314 79,33 303 78,66
325 80,07  

Der Siedepunkt der englischen Thermometer steht nach diesen Formeln um 0,9 reaumurische, d. i. um 2,02 fahrenheitische Grade höher, als der an de Lucs Thermometern. Daher trifft eigentlich 209,98 an jenen mit 80 an diesen überein. [Samuel] Horsley (1733-1806) findet 209,989. Es lässt sich ohne Bedenken 210 dafür annehmen.

Berechnet man die Siedehitze für 29½ und 30½ engl. Zoll (d. i. für 332,15 und 343,43 paris. Lin.), so findet man sie 80,54 und 81,25 Grad. Der Unterschied macht 0,71 Grad nach der reaumurischen, d. i. 9 ⁄ 4 · 0,71 = 1,59 nach der fahrenheitischen Skala aus (Ebenso ist es Philos. Trans. Vol. LXVII.PII. und 37 angegeben). Um diesen Barometerstand herum ändert sich also der Siedepunkt etwa um 0,114 · 1,59 = 0,181 fahrenheitische Grad d. i. um 1 ⁄ 1000 des ganzen Abstands zwischen Siede- und Eispunkt, so oft sich das Barometer um 0,114 engl. Zoll ändert.

Die Anwendung hiervon auf die Bestimmung eines richtigen Siedepunkts wird beim Wort Thermometer unter dem Abschnitte von der Bestimmung der festen Punkte angeführt werden. Bei großen Verstärkungen des Drucks nimmt das Wasser ungemein beträchtliche Grade der Hitze an. Musschenbroek erzählt, er habe in einem starken papinischen Digestor das Wasser dergestalt erhitzt, dass Zinn und Blei an kupfernen Drähten befestigt darin geschmolzen sei, wozu eine Hitze von 400 bis 540 fahrenheitischen Graden erfordert wird.

Da die Siedehitze durch den Druck vergrößert wird, so müssen in einem Gefäß voll Wasser, wenn es vollkommen siedet, die unteren Schichten heißer, als die oberen, werden, weil sie das Gewicht der oberen tragen, und also stärker als diese, gedrückt werden. Würde die ganze Masse gleichförmig erhitzt, so müssten die oberen Schichten auch eher zum völligen Kochen gelangen, als die unteren, bei welchen der stärkere Druck die Verdampfung mehr hindert. Da man aber eine gleichförmige Erhitzung fast nie bewirken kann, so fangen diejenigen Teile zuerst an zu kochen, die dem Feuer am nächsten sind, und daher am schnellsten erhitzt werden, welches gewöhnlich die unteren Teile sind.

Aristoteles bemerkt schon, dass man ein dünnes Gefäß mit kochendem Wasser vom Feuer wegnehmen und am Boden mit der Hand angreifen könne, ohne sich zu verbrennen. Die Beobachtung ist richtig, und wird in den Schriften der Pariser Akademie (1703) wieder angeführt, mit dem Zusatz, dass das Gefäß groß und der Boden sehr dünn sein müsse, auch dass die Hand nur so lang unbeschädigt bleibe, als das Kochen des Wassers noch anhält. Unmittelbar nach dem Aufhören des Kochens wird der Boden unerträglich heiß. [Wilhelm] Homberg (1652-1715) erklärt dieses Phänomen sehr cartesianisch aus der Richtung der Feuerteile, die wie spitze Pfeile durch Gefäß und Wasser bloß von unten hinauf gehen, also die Hand nicht eher verletzen können, als bis das Kochen aufhört und die Wege verstopft werden, welches die Pfeile nötigt, sich wieder nach allen Seiten, also auch herunter und gegen die Hand zu wenden. Eben das sagen auch [Jean-Antoine] Nollet (1700-1770), Musschenbroek, [Mathurin Jacques] Brisson (1723-1806) u. a. Wahrscheinlicher möchte folgende Erklärung sein. Die einmal tätig gewordene Anziehung des Wassers gegen den Wärmestoff wirkt noch eine Zeit lang fort, so, dass die Verdampfung nicht gleich und plötzlich aufhören kann. Weil aber von außen kein Feuer mehr hinzukommt, so wird zu dieser Verdampfung dasjenige mit verwendet, was sich vorher im Boden des Gefäßes, als freie Wärme, aufhielt. Daher kann dieser Boden der Hand wenig fühlbare Wärme mitteilen, d. h. er kann sie nicht verbrennen, bis das Kochen aufhört, und die dazu nötige Verwendung oder Bindung der Wärme des Bodens wegfällt. Ist aber der Boden allzu dick, so können sich die Folgen dieser Operation, welche an der inneren Fläche vorgeht, nicht bis zur äußeren erstrecken, daher diese ihre ganze fühlbare Wärme behält und der Hand mitteilt.


Quelle
Johann Samuel Traugott Gehler: Physikalisches Wörterbuch oder der Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Vierter Theil von See bis Z. Leipzig 1791.
Anmerkung
Die Abhägigkeit des Siedepunkts vom Druck wird durch die Clausius-Claperyron-Gleichung (1834) beschrieben. Sie ist eine Funktion der Verdampfungsentahlpie und der Änderung der molaren Volumina von der flüssigen zur gasförmigen Phase.

Biographische Notizen

Guilaume Amontons
Aristoteles
Mathurin Jacques Brisson
Daniel Gabriel Fahrenheit
Benjamin Franklin
Samuel Horsley
Christiaan Huygens
Pierre Charles Lemonnier
Georg Christoph Lichtenberg
Jean-André de Luc
Johann Friedrich Luz
Nevil Maskelyne
Pieter van Musschenbroek
Isaac Newton
Jean-Antoine Nollet
Denis Papin
Horace-Benénédict de Saussure
Charles-Louis de Secondat Baron de Brede et de Montesquieu

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