Sphärische TrigonometrieAnwendungenDie Orthodrome![]() Die kürzesten Verbindungslinie zwischen zwei Punkten A und B auf der Kugel liegt auf einem Großkreis. Die Fahrt auf der Orthodrome ist also die kürzeste Route von A nach B. Dieser Großkreis — sofern er nicht der Äquator oder ein Breitenkreis ist — schneidet jeden Meridian unter einem anderen Winkel. Das hat den Nachteil, dass man ständig den Kurs wechseln muss. Mit dem Pol bilden die beiden Punkte A unf B ein — in aller Regel schiefwinkliges — sphärisches (Pol-)Dreieck ABC, denn die Punkte A und B liegen auf Meridianen. Wenn man die Koordinaten der Punkte A und B kennt, sind die Seiten a und b bekannt und der eingeschlossene Winkel γ (das ist der Längenunterschied von A und B) gegeben, und die Seite c und die Winkel α und β sind gesucht. Das ist die Hauptaufgabe III im sphärischen Dreieck. Also kann die Seite c nach der Formel cos c = cos a · cos b + sin a · sin b · cos γ berechnet werden. Die Winkel berechnet man analog der Hauptaufgabe I im schiefwinkligen sphärischen Dreieck: Wenn man also von A nach B segeln will, sind der Startkurs α und der Ankunftskurs β bekannt. Aber wie findet man die Schnittwinkel in den Punkten D und E auf der Orthodrome mit den zwichen A und B liegenden Meridiane? In den Hauptaufgaben V und VI beim schiefwinkligen sphärischen Dreieck haben wir den Trick kennen gelernt: man erzeugt aus einem schiefwinkligen Dreieck zwei rechtwinklige, indem man die sphärische Höhe h von einer Ecke aus einzeichnet. Sie hat den Fußpunkt S, und ist die Höhe in jedem beliebigen Dreieck, das C und S als zwei seiner Ecken hat, und dessen dritte Ecke auf dem Großkreis der Orthodrome liegt. Mit der Verwendung von rechtwinkligen sphärischen Dreiecken werden die Berechnungen einfacher. Zunächst aber müssen die Koordinaten des Scheitelpunktes gefunden werden. Das ist mit der Neperschen Regel recht einfach. Im Dreieck ASC mit dem rechten Winkel bei S (∢CSA) werden die Stücke angeordnet: AS* α AC γ CS* (der Winkel ∢ACS ist γ im Dreieck ACS!). Bekannt sind AC und α, also nicht-anliegende Stücke zum gesuchten Bogen CS. Man erhält für den Komplementärwinkel der Scheitelbreite die Formel:
Die Berechnung an einem Beispiel wird im Abschnitt Navigation ausgeführt. Die Berechnung der Tageslänge![]() Die Sonne — und die Sterne — bewegen sich von der Erde ausgesehen auf Kreisen um einen imaginären Punkt. Die größte Höhe über dem Horizont erreicht die Sonne etwa zu Mittag (außer wenn gerade "Sommerzeit" angesagt ist). Die Tageslänge hängt von der Jahreszeit ab. In der Abbildung ist der sphärisch-trigonometrische Zusammenhang vereinfacht dargestellt (der Durchmesser der Erde ist hier vernachlässigt, d. h. der "wahre" Horizont fällt mit dem "scheinbaren" zusammen). Der Beobachter steht im Mittelpunkt M der Himmelskugel, über ihm ist der Zenith Z und der Himmel trifft auf den Horizont, der das Gesichtsfeld begrenzt. Die Horizontebene ist ein Großkreis, der auf der Achse MZ senkrecht steht. Die Sterne bewegen sich im Verlaufe eines Tages auf Kleinkreisen (hier blau) mit den Mittelpunkten auf der Achse MP, der Weltachse. Die Großkreisebene senkrecht zur Weltachse ist der Himmelsäquator (hier rot). Der höchste Punkt der Sternenbahn vom Beobachter aus gesehen, ist der (obere) Kulminationspunkt KO, der die Südrichtung (S) definiert. "Westen" (W) ist rechts vom Beobachter, der nach Süden blickt, "Osten" (E) links, und "Norden" (N) liegt hinter ihm. Alle Sterne gehen im Osten auf (Aufgangspunkt A) und im Westen unter (Untergangspunkt U). In der Abbildung sind zwei durch je eine Großkreisebene und ihre senkrechte Mittelachse definierte Koordinatensysteme enthalten: das Horizontsystem und das Reaktaszensionssystem. In beiden Koordinatensystemen ist jedoch die Südrichtung als Bezugspunkt in der Großkreisebene festgelegt. Damit sind die Systeme durch den Großkreis durch P und Z mit einander verbunden.
Die halbe Tageslänge ist der Winkelabstand des Südmeridians S vom Untergangspunkt U. Gesucht ist also eine Formel für den Winkel ∢SPG = t, wenn G = U. Bekannt sind im Navigationsdreieck: die Länge des Kreisbogens PZ, das ist der Komplementärwinkel der geografischen Breite φ des Beobachters im Horizontsystems: PZ = 90° - φ. Die Länge der Seite GZ ist der Komplementärwinkel der Höhe h: GZ = 90° - h (im Untergangspunkt wird sie Null sein). Die Länge der Seite GP ist der Komplementärwinkel der Deklination δ: PG = 90° - δ. Der Winkel am Pol, ∢ZPG, ist der gesuchte Stundenwinkel t, und der Winkel am Zenith, ∢PZG = 180° - a (es ist der Ergänzungswinkel zu ∢HZS, dem Azimuth!). Bekannte Stücke:
Gesuchtes Stück:
Zur Berechnung der Stücke im Navigationsdreieck verwendet man den Seitencosinussatz im schiefwinkligen sphärischen Dreieck, denn man kennt die drei Seiten (1. Hauptaufgabe):
Setzt man nun die Stücke ein:
erhält man:
und mit sin (90° - α) = cos α und cos (90° - α) = sin α
Diese Gleichung wird nun aufgelöst nach cos t: Wenn — bei Sonnenauf- und untergang — h = 0 und sin h = 0 und cos h = 1 sind, vereinfacht sich die Formel zu: Mit dieser Formel hat die kaiserliche deutsche Marine nach dem Lehrbuch der Navigation von 1906 die Kompassmissweisung bestimmt. Der Winkel t der Untergangsrichtung wurde bestimmt, wenn die Sonne 4 ⁄ 5 ihres Durchmessers über dem Horizont steht. (Wegen der Refraktion der Atmosphäre!) Die Deklination der Sonne
Legt man das Ekliptikalsystem so auf das Äquatorsystem, dass die Mittelpunkte zusammenfallen und der Pol der Ekliptik Nε auf dem Mittagsmeridian liegt, erhällt man die nebenstehende Abbildung. Der Abstand der Sonne G vom Frühlingspunkt ist die ekliptikale Länge λ der Sonne, der Abstand δ die Deklination der Sonne. Sie nimmt von Frühlingspunkt ♈ mit wachsender Länge λ zu bis zum Maximum am Sommersonnenwendepunkt, dann wieder ab bis zum Wintersonnenwendepunkt. Die Berechnung von δ in Anbhängigkeit von λ berechnent man im Dreieck ♈FG, in dem der ∢G♈F = ε und ∢♈FG = 90° (alle Großkreise durch den Pol schneiden alle Meridiane im rechten Winkel). Es gilt Die Seiten eines allgemeinen Dreiecks verhalten sich wie die Sinuswerte der den Seiten gegenüberliegenden Winkel. Da sin 90° = 1 ergibt die Umformung:
Oben wurde erwähnt, dass sich die Deklination der Sonne täglich ändert. Das wird an der Abbildung verständlich. Am Frühlingspunkt ♈ ist δ = 0 und die Mittagshöhe der Sonne h☉ = ε und der Tag hat 12 Stunden. (Ist leicht mit den oben abgeleiteten Formeln für δ = 0 zu berechnen.) Nun werden die Tage länger, bis die Sonne den oberen Punkt ihrer Bahn erreicht hat; δ = ε. Dieser Punkt liegt 90° vom ♈-Punkt entfernt. Da die Sonne den ♈-Punkt nach einem vollen Umlauf von 360° wieder erreicht und dabei ein Jahr (zu 365,2472 = 365 d 5 h 56 m (Sonnen-)Tagen) vergangen ist, ist das ¼ Jahr nach dem Frühlingspunktdurchgang. Es entspricht also ein Tag einem Fortschreiten der Sonne auf ihrer ekliptischen Bahn um 0,9856° Mit diesem Wert kann man die Deklination δ für jedes Datum berechnen, wenn man weiss, wann der Durchgang durch den Frühlingspunkt war — leider nicht mit dem Rechenschieber, denn man muss bei einer Genauigkeit von einer Minute mit 4 Stellen nach dem Komma rechnen.
Leider ist die Wirklichkeit nicht so ideal. Man muss den ♈-Punkt jährlich bestimmen. Im Jahr 2014 war der Zeitpunkt am 20. März um 17:57 h MEZ, und 2021 wird er am 20. März um 10:37 MEZ sein. Die Gründe werden auf Astronomie-Sites ausführlich erklärt.
Die so korrigierte Zeit benutzt man zur Berechnung des Deklination δ der Sonne.
Die Formel zur Umrechnung des bürgerlichen in das julianische Datum JD lautet:
Die Sonne ist auf ihrer Bahn also 136,2868° vom Frühlingspunkt ♈ entfernt. Zur Berechnung der Höhe δ der Sonne über dem Äquator (Deklination) benutzt man das rechtwinklige sphärische Dreieck mit den Seiten λ und δ und dem Winkel ε. Die Formel lautet:
Mit dieser Formel berechnet man die Deklinationstabellen. Die Korrektur der Zeitgleichung bringt man beim Julianischen Datum an. Dieser Rechengang setzt voraus, dass die Schiefe der Ekliptik ε konstant sei. Exakt gilt das nur in begrenzten Zeiträumen, da die Neigung der Erdachse relativ zur Bahnebene vielen Einflüssen unterliegt, die Teils von Planetenkonstellationen, teils von Masseverschiebungen auf der Erde beeinflusst werden (sieh z. B. die Überlegungen zum Milanković-Zyklen). |
|||||||||||||||||||||||||||||||||
![]() | |||||||||||||||||||||||||||||||||
|
![]() |
© Rainer Stumpe URL: www.rainerstumpe.de |