Titelblatt Immanuel Kant′s

Logik




Ein

Handbuch zu Vorlesungen,

herausgegeben

von

Gottlob Benjamin Jäsche.





1880.

I.
Allgemeine Elementarlehre.

Erster Abschnitt.
Von den Begriffen.

§. 1.
Begriff überhaupt und dessen Unterschied von der Anschauung.

Alle Erkenntnisse, das heißt: alle mit Bewußtsein auf ein Object bezogene Vorstellungen sind entweder Anschauungen oder Begriffe. Die Anschauung ist eine einzelne Vorstellung (repraesentatio singularis), der Begriff eine allgemeine (repraesentatio per notas communes) oder reflectirte Vorstellung (repraesentatio discursiva).

Die Erkenntniß durch Begriffe heißt das Denken (cognitio discursiva).

  • Anmerk.
    1. Der Begriff ist der Anschauung entgegengesetzt, denn er ist eine allgemeine Vorstellung oder eine Vorstellung dessen, was mehreren Objecten gemein ist, also eine Vorstellung, sofern sie in verschiedenen enthalten sein kann.
    2. Es ist eine blose Tautologie, von allgemeinen oder gemeinsamen Begriffen zu reden; — ein Fehler, der sich auf eine unrichtige Eintheilung der Begriffe in allgemeine, besondere und einzelne gründet. Nicht die Begriffe selbst, — nur ihr Gebrauch kann so eingetheilt werden.

§. 2.
Materie und Form der Begriffe.

An jedem Begriffe ist Materie und Form zu unterscheiden. Die Materie der Begriffe ist der Gegenstand, die Form derselben die Allgemeinheit.

§. 3.
Empirischer und reiner Begriff.

Der Begriff ist entweder ein empirischer oder ein reiner Begriff (vel empiricus vel intellectualis). Ein reiner Begriff ist ein solcher, der nicht von der Erfahrung abgezogen ist, sondern auch dem Inhalte nach aus dem Verstande entspringt.

  • Anmerk.
    1. Der empirische Begriff entspringt aus den Sinnen durch Vergleichung der Gegenstände der Erfahrung und erhält durch den Verstand blos die Form der Allgemeinheit. Die Realität dieser Begriffe beruht auf der wirklichen Erfahrung, woraus sie, ihrem Inhalte nach, geschöpft sind. Ob es aber reine Verstandesbegriffe (conceptus puri) gebe, die, als solche, unabhängig von aller Erfahrung lediglich aus dem Verstande entspringen, muß die Metaphysik untersuchen.
    2. Die Vernunftbegriffe oder Ideen können gar nicht auf wirkliche Gegenstände führen, weil diese alle in einer möglichen Erfahrung enthalten sein müssen. Aber sie dienen doch dazu, durch Vernunft in Ansehung der Erfahrung und des Gebrauchs der Regeln derselben in der größten Vollkommenheit, den Verstand zu leiten oder auch zu zeigen, daß nicht alle mögliche Dinge Gegenstände der Erfahrung seien, und daß die Principien der Möglichkeit der letztern nicht von Dingen an sich selbst, auch nicht von Objecten der Erfahrung als Dingen an sich selbst gelten.

    Die Idee enthält das Urbild des Gebrauchs des Verstandes, z. B. die Idee vom Weltganzen, welche nothwendig sein muß, nicht als constitutives Princip zum empirischen Verstandesgebrauche, sondern nur als regulatives Princip zum Behuf des durchgängigen Zusammenhanges unsers empirischen Verstandesgebrauchs. Sie ist also als ein nothwendiger Grundbegriff anzusehen, um die Verstandeshandlungen der Subordination entweder objectiv zu vollenden oder als unbegrenzt anzusehen. Auch läßt sich die Idee nicht durch Zusammensetzung erhalten, denn das Ganze ist eher als der Theil. Indessen giebt es doch Ideen, zu denen eine Annäherung stattfindet. Dieses ist der Fall mit den mathematischen oder den Ideen der mathematischen Erzeugung eines Ganzen, die sich wesentlich von den dynamischen unterscheiden, welche allen concreten Begriffen gänzlich heterogen sind, weil das Ganze nicht der Größe (wie bei den mathematischen), sondern der Art nach von den concreten Begriffen verschieden ist. —

    Man kann keiner theoretischen Idee objective Realität verschaffen oder dieselbe beweisen, als nur der Idee von der Freiheit, und zwar, weil diese die Bedingung des moralischen Gesetzes ist, dessen Realität ein Axiom ist. Die Realität der Idee von Gott kann nur durch diese und also nur in praktischer Absicht, d. i. so zu handeln, als ob ein Gott sei, also nur für diese Absicht bewiesen werden.

    In allen Wissenschaften, vornehmlich denen der Vernunft, ist die Idee der Wissenschaft der allgemeine Abriß oder Umriß derselben, also der Umfang aller Kenntnisse, die zu ihr gehören. Eine solche Idee des Ganzen - das Erste, worauf man bei einer Wissenschaft zu sehen und was man zu suchen hat, ist architektonisch, wie z. B. die Idee der Rechtswissenschaft.

    Die Idee der Menschheit, die Idee einer vollkommenen Republik, eines glückseligen Lebens u. dgl. m. fehlt den meisten Menschen. Viele Menschen haben keine Idee von dem, was sie wollen, daher verfahren sie nach Instinct und Auctorität.

§. 4.
Gegebene (a priori oder a posteriori) und gemachte Begriffe.

Alle Begriffe sind der Materie nach entweder gegebene (conceptus dati) oder gemachte Begriffe (conceptus factitii). Die erstern sind entweder a priori oder a posteriori gegeben.

Alle empirisch oder a posteriori gegebenen Begriffe heißen Erfahrungsbegriffe, a priori gegebene, Notionen.

  • Anmerk. Die Form eines Begriffs als einer discursiven Vorstellung ist jederzeit gemacht.

§. 5.
Logischer Ursprung der Begriffe.

Der Ursprung der Begriffe der blosen Form nach beruht auf Reflexion und auf der Abstraction von dem Unterschiede der Dinge, die durch eine gewisse Vorstellung bezeichnet sind. Und es entsteht also hier die Frage: welche Handlungen des Verstandes einen Begriff ausmachen oder, welches dasselbe ist, zu Erzeugung eines Begriffes aus gegebenen Vorstellungen gehören?

  • Anmerk.
    1. Da die allgemeine Logik von allem Inhalte des Erkenntnisses durch Begriffe, oder von aller Materie des Denkens abstrahirt: so kann sie den Begriff nur in Rücksicht seiner Form, d. h. nur subjectivisch erwägen; nicht wie er durch ein Merkmal ein Object bestimmt, sondern nur, wie er auf mehrere Objecte kann bezogen werden. Die allgemeine Logik hat also nicht die Quelle der Begriffe zu untersuchen; nicht wie Begriffe als Vorstellungen entspringen, sondern lediglich, wie gegebene Vorstellungen im Denken zu Begriffen werden; diese Begriffe mögen übrigens etwas enthalten, was von der Erfahrung hergenommen ist, oder auch etwas Erdichtetes, oder von der Natur des Verstandes Entlehntes. - Dieser logische Ursprung der Begriffe, der Ursprung ihrer blosen Form nach, besteht in der Reflexion, wodurch eine mehreren Objecten gemeine Vorstellung (conceptus communis) entsteht, als diejenige Form, die zur Urtheilskraft erfordert wird. Also wird in der Logik blos der Unterschied der Reflexion an den Begriffen betrachtet.
    2. Der Ursprung der Begriffe in Ansehung ihrer Materie, nach welcher ein Begriff entweder empirisch oder willkürlich oder intellectuell ist, wird in der Metaphysik erwogen.

§. 6.
Logische Actus der Comparation, Reflexion und Abstraction.

Die logischen Verstandes-Actus, wodurch Begriffe ihrer Form nach erzeugt werden, sind:

  1. die Comparation, d. i. die Vergleichung der Vorstellungen unter einander im Verhältnisse zur Einheit des Bewußtseins;
  2. die Reflexion, d. i. die Ueberlegung, wie verschiedene Vorstellungen in einem Bewußtsein begriffen sein können; und endlich
  3. die Abstraction oder die Absonderung alles Uebrigen, worin die gegebenen Vorstellungen sich unterscheiden.
  • Anmerk.
    1. Um aus Vorstellungen Begriffe zu machen, muß man also compariren, reflectiren und abstrahiren können, denn diese drei logischen Operationen des Verstandes sind die wesentlichen und allgemeinen Bedingungen zu Erzeugung eines jeden Begriffs überhaupt. Ich sehe z. B. eine Fichte, eine Weide und eine Linde. Indem ich diese Gegenstände zuvörderst unter einander vergleiche, bemerke ich, daß sie von einander verschieden sind in Ansehung des Stammes, der Aeste, der Blätter u. dgl. m.; nun reflectire ich aber hiernächst nur auf das, was sie unter sich gemein haben, den Stamm, die Aeste, die Blätter selbst und abstrahire von der Größe, der Figur derselben u. s. w.; so bekomme ich einen Begriff vom Baume.
    2. Man braucht in der Logik den Ausdruck Abstraction nicht immer richtig. Wir müssen nicht sagen: Etwas abstrahiren (abstrahere aliquid), sondern von Etwas abstrahiren (abstrahere ab aliquo). Wenn ich z. B. beim Scharlach-Tuche nur die rothe Farbe denke: so abstrahire ich vom Tuche, abstrahire ich auch von diesem und denke mir den Scharlach als einen materiellen Stoff überhaupt: so abstrahire ich von noch mehreren Bestimmungen, und mein Begriff ist dadurch noch abstracter geworden. Denn je mehrere Unterschiede der Dinge aus einem Begriffe weggelassen sind oder, von je mehreren Bestimmungen in demselben abstrahirt worden: desto abstracter ist der Begriff. Abstracte Begriffe sollte man daher eigentlich abstrahirende (conceptus abstrahentes) nennen, d. h. solche, in denen mehrere Abstractionen vorkommen. So ist z. B. der Begriff Körper eigentlich kein abstracter Begriff, denn vom Körper selbst kann ich ja nicht abstrahiren, ich würde sonst nicht den Begriff von ihm haben. Aber wohl muß ich von der Größe, der Farbe, der Härte oder Flüssigkeit, kurz: von allen speciellen Bestimmungen besondrer Körper abstrahiren. Der abstracteste Begriff ist der, welcher mit keinem von ihm verschiedenen etwas gemein hat. Dieses ist der Begriff von Etwas; denn das von ihm Verschiedene ist Nichts, und hat also mit dem Etwas nichts gemein.
    3. Die Abstraction ist nur die negative Bedingung, unter welcher allgemeingültige Vorstellungen erzeugt werden können; die positive ist die Comparation und Reflexion. Denn durchs Abstrahiren wird kein Begriff, die Abstraction vollendet ihn nur und schließt ihn in seine bestimmten Grenzen ein.

§. 7.
Inhalt und Umfang der Begriffe.

Ein jeder Begriff, als Theilbegriff, ist in der Vorstellung der Dinge enthalten; als Erkenntnißgrund, d. i. als Merkmal sind diese Dinge unter ihm enthalten. In der erstern Rücksicht hat jeder Begriff einen Inhalt; in der andern einen Umfang.

Inhalt und Umfang eines Begriffes stehen gegen einander in umgekehrtem Verhältnisse. Je mehr nämlich ein Begriff unter sich enthält, desto weniger enthält er in sich und umgekehrt.

  • Anmerk. Die Allgemeinheit oder Allgemeingültigkeit des Begriffes beruht nicht darauf, daß der Begriff ein Theilbegriff, sondern daß er ein Erkenntnißgrund ist.

§. 8.
Größe des Umfanges der Begriffe.

Der Umfang oder die Sphäre eines Begriffes ist um so größer, je mehr Dinge unter ihm stehen und durch ihn gedacht werden können.

  • Anmerk. So wie man von einem Grunde überhaupt sagt, daß er die Folge unter sich enthalte, so kann man auch von dem Begriffe sagen, daß er als Erkenntnißgrund alle diejenigen Dinge unter sich enthalte, von denen er abstrahirt worden, z. B. der Begriff Metall das Gold, Silber, Kupfer u. s. w. Denn da jeder Begriff, als eine allgemeingültige Vorstellung, dasjenige enthält, was mehreren Vorstellungen von verschiedenen Dingen gemein ist: so können alle diese Dinge, die in so fern unter ihm enthalten sind, durch ihn vorgestellt werden. Und eben dies macht die Brauchbarkeit eines Begriffs aus. Je mehr Dinge nun durch einen Begriff können vorgestellt werden: desto größer ist die Sphäre desselben. So hat z. B. der Begriff Körper einen größeren Umfang als der Begriff Metall.

§. 9.
Höhere und niedere Begriffe.

Begriffe heißen höhere (conceptus superiores), sofern sie andre Begriffe unter sich haben, die im Verhältnisse zu ihnen niedere Begriffe genannt werden. Ein Merkmal vom Merkmal, ein entferntes Merkmal ist ein höherer Begriff, der Begriff in Beziehung auf ein entferntes Merkmal, ein niederer.

  • Anmerk. Da höhere und niedere Begriffe nur beziehungsweise (respective) so heißen, so kann also Ein und derselbe Begriff in verschiedenen Beziehungen, zugleich ein höherer und ein niederer sein. So ist z. B. der Begriff Mensch, in Beziehung auf den Begriff Pferd ein höherer; in Beziehung auf den Begriff Thier aber ein niederer.

§. 10.
Gattung und Art.

Der höhere Begriff heißt in Rücksicht seines niederen Gattung (genus), der niedere Begriff in Ansehung seines höheren, Art (species).

So wie höhere und niedere, so sind also auch Gattungs- und Art-Begriffe nicht ihrer Natur nach, sondern nur in Ansehung ihres Verhältnisses zu einander (termini a quo oder ad quod) in der logischen Subordination unterschieden.

§. 11.
Höchste Gattung und niedrigste Art.

Die höchste Gattung ist die, welche keine Art ist (genus summum non est species), sowie die niedrigste Art die, welche keine Gattung ist (species, quae non est genus, est infima).

Dem Gesetze der Stetigkeit zufolge kann es indessen weder eine niedrigste, noch eine nächste Art geben.

  • Anmerk. Denken wir uns eine Reihe von mehreren einander subordinirten Begriffen, z. B. Eisen, Metall, Körper, Substanz, Ding: so können wir hier immer höhere Gattungen erhalten; denn eine jede Species ist immer zugleich als Genus zu betrachten in Ansehung ihres niederen Begriffes, z. B. der Begriff Gelehrter in Ansehung des Begriffs Philosoph, bis wir endlich auf ein Genus kommen, das nicht wieder Species sein kann. Und zu einem solchen müssen wir zuletzt gelangen können, weil es doch am Ende einen höchsten Begriff (conceptum summum) geben muß, von dem sich, als solchem nichts weiter abstrahiren läßt, ohne daß der ganze Begriff verschwindet. Aber einen niedrigsten Begriff (conceptum infimum) oder eine niedrigste Art, worunter kein anderer mehr enthalten wäre, giebt es in der Reihe der Arten und Gattungen nicht, weil ein solcher sich unmöglich bestimmen läßt. Denn haben wir auch einen Begriff, den wir unmittelbar auf Individuen anwenden: so können in Ansehung desselben doch noch specifische Unterschiede vorhanden sein, die wir entweder nicht bemerken, oder die wir aus der Acht lassen. Nur comparativ für den Gebrauch giebt es niedrigste Begriffe, die gleichsam durch Convention diese Bedeutung erhalten haben, sofern man übereingekommen ist, hierbei nicht tiefer zu gehen.
  • In Absicht auf die Bestimmung der Art- und Gattungsbegriffe gilt also folgendes allgemeine Gesetz: Es giebt ein Genus, das nicht mehr Species sein kann, aber es giebt keine Species, die nicht wieder sollte Genus sein können.

§. 12.
Weiterer und engerer Begriff. Wechselbegriffe.

Der höhere Begriff heißt auch ein weiterer; der niedere ein engerer Begriff.

Begriffe, die einerlei Sphäre haben, werden Wechselbegriffe (conceptus reciproci) genannt.

§. 13.
Verhältniß des niederen zum höhern, des weitern zum engeren Begriffe.

Der niedere Begriff ist nicht in dem höhern enthalten, denn er enthält mehr in sich als der höhere; aber er ist doch unter demselben enthalten, weil der höhere den Erkenntnißgrund des niederen enthält.

Ferner ist ein Begriff nicht weiter, als der andere, darum weil er mehr unter sich enthält, denn das kann man nicht wissen -, sondern sofern er den andern Begriff, und außer demselben noch mehr, unter sich enthält.

§. 14.
Allgemeine Regeln in Absicht auf die Subordination der Begriffe.

In Ansehung des logischen Umfanges der Begriffe gelten folgende allgemeine Regeln:

  1. Was den höhern Begriffen zukommt oder widerspricht, das kommt auch zu oder widerspricht allen niedrigern Begriffen, die unter jenen höhern enthalten sind; und
  2. umgekehrt: Was allen niedrigern Begriffen zukommt oder widerspricht, das kommt auch zu oder widerspricht ihrem höhern Begriffe.
  • Anmerk. Weil das, worin Dinge übereinkommen, aus ihren allgemeinen Eigenschaften, und das, worin sie von einander verschieden sind, aus ihren besondern Eigenschaften herfließt, so kann man nicht schließen: Was einem niedrigern Begriffe zukommt oder widerspricht, das kommt auch zu oder widerspricht anderen niedrigeren Begriffen, die mit jenem zu Einem höhern Begriffe gehören. So kann man z. B. nicht schließen: Was dem Menschen nicht zukommt, das kommt auch den Engeln nicht zu.

§. 15.
Bedingungen der Entstehung höherer und niederer Begriffe: logische Abstraction und logische Determination.

Durch fortgesetzte logische Abstraction entstehen immer höhere, so wie dagegen durch fortgesetzte logische Determination immer niedrigere Begriffe. Die größte mögliche Abstraction giebt den höchsten oder abstractesten Begriff, den, von dem sich keine Bestimmung weiter wegdenken läßt. Die höchste vollendete Determination würde einen durchgängig bestimmten Begriff (conceptum omnimode determinatum) d. i. einen solchen geben, zu dem sich keine weitere Bestimmung mehr hinzu denken ließe.

  • Anmerk. Da nur einzelne Dinge oder Individuen durchgängig bestimmt sind: so kann es auch nur durchgängig bestimmte Erkenntnisse als Anschauungen, nicht aber als Begriffe, geben; in Ansehung der letztern kann die logische Bestimmung nie als vollendet angesehen werden (§. 11. Anm.).

§. 16.
Gebrauch der Begriffe in abstracto und in concreto.

Ein jeder Begriff kann allgemein und besonders (in abstracto und in concreto) gebraucht werden. In abstracto wird der niedere Begriff in Ansehung seines höhern, in concreto der höhere Begriff in Ansehung seines niederen gebraucht.

  • Anmerk.
    1. Die Ausdrücke des Abstracten und Concreten beziehen sich also nicht sowohl auf die Begriffe an sich selbst denn jeder Begriff ist ein abstracter Begriff, als vielmehr nur auf ihren Gebrauch. Und dieser Gebrauch kann hinwiederum verschiedene Grade haben, je nachdem man einen Begriff bald mehr bald weniger abstract oder concret behandelt, d. h. bald mehr bald weniger Bestimmungen entweder wegläßt oder hinzusetzt. Durch den abstracten Gebrauch kommt ein Begriff der höchsten Gattung, durch den concreten Gebrauch dagegen dem Individuum näher.
    2. Welcher Gebrauch der Begriffe, der abstracte oder der concrete, hat vor dem andern einen Vorzug? Hierüber läßt sich nichts entscheiden. Der Werth des einen ist nicht geringer zu schätzen, als der Werth des andern. Durch sehr abstracte Begriffe erkennen wir an vielen Dingen wenig, durch sehr concrete Begriffe erkennen wir an wenigen Dingen viel; was wir also auf der einen Seite gewinnen, das verlieren wir wieder auf der andern. Ein Begriff, der eine große Sphäre hat, ist in so fern sehr brauchbar, als man ihn auf viele Dinge anwenden kann; aber es ist auch dafür um so weniger in ihm enthalten. In dem Begriffe Substanz denke ich z. B. nicht so viel als in dem Begriffe Kreide.
    3. Das Verhältniß zu treffen zwischen der Vorstellung in abstracto und in concreto in derselben Erkenntniß, also der Begriffe und ihrer Darstellung, wodurch das Maximum der Erkenntniß, dem Umfange sowohl als dem Inhalte nach, erreicht wird, darin besteht die Kunst der Popularität.

Zweiter Abschnitt.
Von den Urtheilen
.

§. 17.
Erklärung eines Urtheils überhaupt.

Ein Urtheil ist die Vorstellung der Einheit des Bewußtseins verschiedener Vorstellungen, oder die Vorstellung des Verhältnisses derselben, sofern sie einen Begriff ausmachen.

§. 18.
Materie und Form der Urtheile.

Zu jedem Urtheile gehören, als wesentliche Bestandstücke desselben, Materie und Form. In den gegebenen, zur Einheit des Bewußtseins im Urtheile verbundenen Erkenntnissen besteht die Materie; in der Bestimmung der Art und Weise, wie die verschiedenen Vorstellungen, als solche, zu Einem Bewußtsein gehören, die Form des Urtheils.

§. 19.
Gegenstand der logischen Reflexion die blose Form der Urtheile.

Da die Logik von allem realen oder objectiven Unterschiede des Erkenntnisses abstrahirt: so kann sie sich mit der Materie der Urtheile so wenig als mit dem Inhalte der Begriffe beschäftigen. Sie hat also lediglich den Unterschied der Urtheile in Ansehung ihrer blosen Form in Erwägung zu ziehen.

§. 20.
Logische Formen der Urtheile: Quantität, Qualität, Relation und Modalität.

Die Unterschiede der Urtheile in Rücksicht auf ihre Form lassen sich auf die vier Hauptmomente der Quantität, Qualität, Relation und Modalität zurückführen, in Ansehung deren eben so viele verschiedene Arten von Urtheilen bestimmt sind.

§. 21.
Quantität der Urtheile: Allgemeine, Besondere, Einzelne.

Der Quantität nach sind die Urtheile entweder allgemeine oder besondere oder einzelne; jenachdem das Subject im Urtheile entweder ganz von der Notion des Prädicats ein- oder ausgeschlossen, oder davon zum Theil nur ein, zum Theil ausgeschlossen ist. Im allgemeinen Urtheile wird die Sphäre eines Begriffs ganz innerhalb der Sphäre eines anderen beschlossen; im particularen wird ein Theil des erstern unter die Sphäre des anderen, und im einzelnen Urtheile endlich wird ein Begriff, der gar keine Sphäre hat, mithin blos als Theil unter die Sphäre eines anderen beschlossen.

  • Anmerk.
    1. Die einzelnen Urtheile sind der logischen Form nach im Gebrauche den allgemeinen gleich zu schätzen; denn bei beiden gilt das Prädicat vom Subject ohne Ausnahme. In dem einzelnen Satze: z. B. Cajus ist sterblich, kann auch so wenig eine Ausnahme Statt finden als in dem allgemeinen: alle Menschen sind sterblich. Denn es giebt nur Einen Cajus.
    2. In Absicht auf die Allgemeinheit eines Erkenntnisses findet ein realer Unterschied Statt zwischen generalen und universalen Sätzen, der aber freilich die Logik nichts angeht. Generale Sätze nämlich sind solche, die blos etwas von dem Allgemeinen gewisser Gegenstände und folglich nicht hinreichende Bedingungen der Subsumtion enthalten, z. B. der Satz: man muß die Beweise gründlich machen; — universale Sätze sind die, welche von einem Gegenstande etwas allgemein behaupten.
    3. Allgemeine Regeln sind entweder analytisch oder synthetisch allgemein. Jene abstrahiren von den Verschiedenheiten; diese attendiren auf die Unterschiede und bestimmen folglich doch auch in Ansehung ihrer. Je einfacher ein Object gedacht wird, desto eher ist analytische Allgemeinheit zufolge eines Begriffs möglich.
    4. Wenn allgemeine Sätze, ohne sie in concreto zu kennen, in ihrer Allgemeinheit nicht können eingesehen werden, so können sie nicht zur Richtschnur dienen und also nicht heuristisch in der Anwendung gelten, sondern sind nur Aufgaben zu Untersuchung der allgemeinen Gründe zu dem, was in besondern Fällen zuerst bekannt worden. Der Satz zum Beispiel: wer kein Interesse hat zu lügen und die Wahrheit weiß, der spricht Wahrheit, dieser Satz ist in seiner Allgemeinheit nicht einzusehen, weil wir die Einschränkung auf die Bedingung des Uninteressirten nur durch Erfahrung kennen, nämlich daß Menschen aus Interesse lügen können, welches daher kommt, daß sie nicht fest an der Moralität hängen. Eine Beobachtung, die uns die Schwäche der menschlichen Natur kennen lehrt.
    5. Von den besondern Urtheilen ist zu merken, daß, wenn sie durch die Vernunft sollen können eingesehen werden und also eine rationale, nicht blos intellectuale (abstrahirte) Form haben: so muß das Subject ein weiterer Begriff (conceptus latior) als das Prädicat sein. — Es sei das Prädicat jederzeit ⭘, das Subject ⬜, so ist
      • Skizze
      ein besonderes Urtheil; denn einiges unter a Gehörige ist b, einiges nicht b, — das folgt aus der Vernunft. — Aber es sei
      • Skizze
      so kann zum wenigsten alles a unter b enthalten sein, wenn es kleiner ist, aber nicht wenn es größer ist, also ist es nur zufälliger Weise particular.

§. 22.
Qualität der Urtheile: Bejahende, Verneinende, Unendliche.

Der Qualität nach sind die Urtheile entweder bejahende oder verneinende oder unendliche. Im bejahenden Urtheile wird das Subject unter der Sphäre eines Prädicats gedacht, im verneinenden wird es außer der Sphäre des letztern gesetzt, und im unendlichen wird es in die Sphäre eines Begriffs, die außerhalb der Sphäre eines anderen liegt, gesetzt.

  • Anmerk.
    1. Das unendliche Urtheil zeigt nicht blos an, daß ein Subject unter der Sphäre eines Prädicats nicht enthalten sei, sondern daß es außer der Sphäre desselben in der unendlichen Sphäre irgendwo liege; folglich stellt dieses Urtheil die Sphäre des Prädicats als beschränkt vor.
      Alles Mögliche ist entweder A oder non A. Sage ich also: etwas ist non A, z. B. die menschliche Seele ist nicht-sterblich, einige Menschen sind Nichtgelehrte u. dgl. m.; so ist dies ein unendliches Urtheil. Denn es wird durch dasselbe über die unendliche Sphäre A hinaus nicht bestimmt, unter welchen Begriff das Object gehöre, sondern lediglich, daß es in die Sphäre außer A gehöre, welches eigentlich gar keine Sphäre ist, sondern nur die Angrenzung einer Sphäre an das Unendliche oder die Begrenzung selbst. Obgleich nun die Ausschließung eine Negation ist, so ist doch die Beschränkung eines Begriffs eine positive Handlung. Daher sind Grenzen positive Begriffe beschränkter Gegenstände.
    2. Nach dem Principium der Ausschließung jedes Dritten (exclusi tertii) ist die Sphäre eines Begriffs relativ auf eine andre entweder ausschließend oder einschließend. Da nun die Logik blos mit der Form des Urtheils, nicht mit den Begriffen ihrem Inhalte nach, es zu thun hat: so ist die Unterscheidung der unendlichen von den negativen Urtheilen nicht zu dieser Wissenschaft gehörig.
    3. In verneinenden Urtheilen afficirt die Negation immer die Copula; in unendlichen wird nicht die Copula, sondern das Prädicat durch die Negation afficirt, welches sich im Lateinischen am besten ausdrücken läßt.

§. 23.
Relation der Urtheile: Kategorische, Hypothetische, Disjunctive.

Der Relation nach sind die Urtheile entweder kategorische oder hypothetische oder disjunctive. Die gegebenen Vorstellungen im Urtheile sind nämlich eine der anderen zur Einheit des Bewußtseins untergeordnet, entweder: als Prädicat dem Subjecte, oder: als Folge dem Grunde, oder: als Glied der Eintheilung dem eingetheilten Begriffe. Durch das erste Verhältniß sind die kategorischen, durch das zweite die hypothetischen und durch das dritte die disjunctiven Urtheile bestimmt.

§. 24.
Kategorische Urtheile.

In den kategorischen Urtheilen machen Subject und Prädicat die Materie derselben aus; — die Form, durch welche das Verhältniß (der Einstimmung oder des Widerstreits) zwischen Subject und Prädicat bestimmt und ausgedrückt wird, heißt die Copula.

  • Anmerk. Die kategorischen Urtheile machen zwar die Materie der übrigen Urtheile aus, aber darum muß man doch nicht, wie mehrere Logiker, glauben, daß die hypothetischen sowohl als die disjunctiven Urtheile weiter nichts als verschiedene Einkleidungen der kategorischen seien und sich daher insgesammt auf die letztern zurückführen ließen. Alle drei Arten von Urtheilen beruhen auf wesentlich verschiedenen logischen Functionen des Verstandes und müssen daher nach ihrer specifischen Verschiedenheit erwogen werden.

§. 25.
Hypothetische Urtheile.

Die Materie der hypothetischen Urtheile besteht aus zwei Urtheilen, die mit einander als Grund und Folge verknüpft sind. Das eine dieser Urtheile, welches den Grund enthält, ist der Vordersatz (antecedens, prius), das andre, das sich zu jenem als Folge verhält, der Nachsatz (consequens, posterius), und die Vorstellung dieser Art von Verknüpfung beider Urtheile unter einander zur Einheit des Bewußtseins wird die Consequenz genannt, welche die Form der hypothetischen Urtheile ausmacht.

  • Anmerk.
    1. Was für die kategorischen Urtheile die copula, das ist für die hypothetischen also die Consequenz, die Form derselben.
    2. Einige glauben: es sei leicht, einen hypothetischen Satz in einen kategorischen zu verwandeln. Allein dieses geht nicht an, weil beide ihrer Natur nach ganz von einander verschieden sind. In kategorischen Urtheilen ist nichts problematisch, sondern Alles assertorisch; in hypothetischen hingegen ist nur die Consequenz assertorisch. In den letztern kann ich daher zwei falsche Urtheile mit einander verknüpfen; denn es kommt hier nur auf die Richtigkeit der Verknüpfung, die Form der Consequenz an, worauf die logische Wahrheit dieser Urtheile beruht. Es ist ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Sätzen: Alle Körper sind theilbar, und: Wenn alle Körper zusammengesetzt sind, so sind sie theilbar. In dem erstern Satze behaupte ich die Sache gerade zu, im letztern nur unter einer problematisch ausgedrückten Bedingung.

§. 26.
Verknüpfungsarten in den hypothetischen Urtheilen: modus ponens und modus tollens.

Die Form der Verknüpfung in den hypothetischen Urtheilen ist zwiefach: die setzende (modus ponens) oder die aufhebende (modus tollens).

  1. Wenn der Grund (antecedens) wahr ist, so ist auch die durch ihn bestimmte Folge (consequens) wahr; heißt der modus ponens.
  2. Wenn die Folge (consequens) falsch ist, so ist auch der Grund (antecedens) falsch; modus tollens.

§. 27.
Disjunctive Urtheile.

Ein Urtheil ist disjunctiv, wenn die Theile der Sphäre eines gegebenen Begriffs einander in dem Ganzen oder zu einem Ganzen als Ergänzungen (complementa) bestimmen.

§. 28.
Materie und Form disjunctiver Urtheile.

Die mehreren gegebenen Urtheile, woraus das disjunctive Urtheil zusammengesetzt ist, machen die Materie desselben aus und werden die Glieder der Disjunction oder Entgegensetzung genannt. In der Disjunction selbst, d. h. in der Bestimmung des Verhältnisses der verschiedenen Urtheile, als sich wechselseitig einander ausschließender und einander ergänzender Glieder der ganzen Sphäre des eingetheilten Erkenntnisses, besteht die Form dieser Urtheile.

  • Anmerk. Alle disjunctiven Urtheile stellen also verschiedene Urtheile als in der Gemeinschaft einer Sphäre vor und bringen jedes Urtheil nur durch die Einschränkung der anderen in Ansehung der ganzen Sphäre hervor; sie bestimmen also jedes Urtheils Verhältniß zur ganzen Sphäre, und dadurch zugleich das Verhältniß, das diese verschiedenen Trennungsglieder (membra disjuncta) unter einander selbst haben. Ein Glied bestimmt also hier jedes andre nur, sofern sie insgesammt als Theile einer ganzen Sphäre von Erkenntniß, außer der sich in gewisser Beziehung nichts denken läßt, in Gemeinschaft stehen.

§. 29.
Eigenthümlicher Character der disjunctiven Urtheile.

Der eigenthümliche Character aller disjunctiven Urtheile, wodurch ihr specifischer Unterschied dem Momente der Relation nach von den übrigen, insbesondere von den kategorischen Urtheilen bestimmt ist, besteht darin: daß die Glieder der Disjunction insgesammt problematische Urtheile sind, von denen nichts anders gedacht wird, als daß sie, wie Theile der Sphäre einer Erkenntniß, jedes des anderen Ergänzung zum Ganzen (complementum ad totum), zusammengenommen, der Sphäre des ersten gleich seien. Und hieraus folgt: daß in Einem dieser problematischen Urtheile die Wahrheit enthalten sein oder - welches dasselbe ist -, daß Eines von ihnen assertorisch gelten müsse, weil außer ihnen die Sphäre der Erkenntniß unter den gegebenen Bedingungen nichts mehr befaßt und eine der anderen entgegengesetzt ist, folglich weder außer ihnen etwas anders, noch auch unter ihnen mehr als Eines wahr sein kann.

  • Anmerk. In einem kategorischen Urtheile wird das Ding, dessen Vorstellung als ein Theil von der Sphäre einer anderen subordinirten Vorstellung betrachtet wird, als enthalten unter dieses seinem obern Begriffe betrachtet, also wird hier in der Subordination der Sphären der Theil vom Theile mit dem Ganzen verglichen. Aber in disjunctiven Urtheilen gehe ich vom Ganzen auf alle Theile zusammengenommen. Was unter der Sphäre eines Begriffs enthalten ist, das ist auch unter einem der Theile dieser Sphäre enthalten. Darnach muß erstlich die Sphäre eingetheilt werden. Wenn ich z. B. das disjunctive Urtheil fälle: Ein Gelehrter ist entweder ein historischer oder ein Vernunftgelehrter, so bestimme ich damit, daß diese Begriffe der Sphäre nach Theile der Sphäre der Gelehrten sind, aber keineswegs Theile von einander, und da sie alle zusammengenommen complet sind.
  • Daß in den disjunctiven Urtheilen nicht die Sphäre des eingetheilten Begriffs, als enthalten in der Sphäre der Eintheilungen, sondern das, was unter dem eingetheilten Begriffe enthalten ist, als enthalten unter einem der Glieder der Eintheilung, betrachtet werde, mag folgendes Schema der Vergleichung zwischen kategorischen und disjunctiven Urtheilen anschaulicher machen.
  • In kategorischen Urtheilen ist x, was unter b enthalten ist, auch unter a:
    • Skizze
    In disjunktiven ist x, was unter a enthalten ist, entweder unter b oder c etc. enthalten:
    • Skizze
    Also zeigt die Division in disjunctiven Urtheilen die Coordination nicht der Theile des ganzen Begriffs, sondern alle Theile seiner Sphäre an. Hier denke ich viel Dinge durch einen Begriff, dort ein Ding durch viele Begriffe, z. B. das Definitum durch alle Merkmale der Coordination.

§. 30.
Modalität der Urtheile: Problematische, assertorische, apodiktische.

Der Modalität nach, durch welches Moment das Verhältniß des ganzen Urtheils zum Erkenntnißvermögen bestimmt ist, sind die Urtheile entweder problematische oder assertorische oder apodiktische. Die problematischen sind mit dem Bewußtsein der blosen Möglichkeit, die assertorischen mit dem Bewußtsein der Wirklichkeit, die apodiktischen endlich mit dem Bewußtsein der Nothwendigkeit des Urtheilens begleitet.

  • Anmerk.
    1. Dieses Moment der Modalität zeigt also nur die Art und Weise an, wie im Urtheile etwas behauptet oder verneint wird: ob man über die Wahrheit oder Unwahrheit eines Urtheils nichts ausmacht, wie in dem problematischen Urtheile: die Seele des Menschen mag unsterblich sein; oder ob man darüber etwas bestimmt, wie in dem assertorischen Urtheile: die menschliche Seele ist unsterblich; oder endlich, ob man die Wahrheit eines Urtheils sogar mit der Dignität der Nothwendigkeit ausdrückt, wie in dem apodiktischen Urtheile: die Seele des Menschen muß unsterblich sein. Diese Bestimmung der blos möglichen oder wirklichen oder nothwendigen Wahrheit betrifft also nur das Urtheil selbst, keineswegs die Sache, worüber geurtheilt wird.
    2. In problematischen Urtheilen, die man auch für solche erklären kann, deren Materie gegeben ist mit dem möglichen Verhältniß zwischen Prädicat und Subject, muß das Subject jederzeit eine kleinere Sphäre haben als das Prädicat.
    3. Auf dem Unterschiede zwischen problematischem und assertorischem Urtheilen beruht der wahre Unterschied zwischen Urtheilen und Sätzen, den man sonst fälschlich in den blosen Ausdruck durch Worte, ohne die man ja überall nicht urtheilen könnte, zu setzen pflegt. Im Urtheile wird das Verhältniß verschiedener Vorstellungen zur Einheit des Bewußtseins blos als problematisch gedacht, in einem Satze hingegen als assertorisch. Ein problematischer Satz ist eine contradictio in adjecto . Ehe ich einen Satz habe, muß ich doch erst urtheilen; und ich urtheile über vieles, was ich nicht ausmache, welches ich aber thun muß, sobald ich ein Urtheil als Satz bestimme. Es ist übrigens gut, erst problematisch zu urtheilen, ehe man das Urtheil als assertorisch annimmt, um es auf diese Art zu prüfen. Auch ist es nicht allemal zu unsrer Absicht nöthig, assertorische Urtheile zu haben.

§. 31.
Exponible Urtheile.

Urtheile, in denen eine Bejahung und Verneinung zugleich, aber versteckter Weise, enthalten ist, so daß die Bejahung zwar deutlich, die Verneinung aber versteckt geschieht, sind exponible Sätze.

  • Anmerk. In dem exponiblen Urtheile, z. B. wenige Menschen sind gelehrt, — liegt 1), aber auf eine versteckte Weise, das negative Urtheil: viele Menschen sind nicht gelehrt; und 2) das affirmative: einige Menschen sind gelehrt. Da die Natur der exponiblen Sätze lediglich von Bedingungen der Sprache abhängt, nach welchen man zwei Urtheile auf einmal in der Kürze ausdrücken kann: so gehört die Bemerkung, daß es in unsrer Sprache Urtheile geben könne, die exponirt werden müssen, nicht in die Logik, sondern in die Grammatik.

§. 32.
Theoretische und praktische Sätze.

Theoretische Sätze heißen die, welche sich auf den Gegenstand beziehen und bestimmen, was demselben zukomme oder nicht zukomme; praktische Sätze hingegen sind die, welche die Handlung aussagen, wodurch, als nothwendige Bedingung desselben, ein Object möglich wird.

  • Anmerk. Die Logik hat nur von praktischen Sätzen der Form nach, die in sofern den theoretischen entgegengesetzt sind, zu handeln. Praktische Sätze, dem Inhalte nach, und in so fern von den speculativen unterschieden, gehören in die Moral.

§. 33.
Indemonstrable und demonstrable Sätze.

Demonstrable Sätze sind die, welche eines Beweises fähig sind; die keines Beweises fähig sind, werden indemonstrable genannt.

Unmittelbar gewisse Urtheile sind indemonstrabel und also als Elementar-Sätze anzusehen.

§. 34.
Grundsätze.

Unmittelbar gewisse Urtheile a priori können Grundsätze heißen, sofern andre Urtheile aus ihnen erwiesen, sie selbst aber keinem anderen subordinirt werden können. Sie werden um deswillen auch Principien (Anfänge) genannt.

§. 35.
Intuitive und discursive Grundsätze: Axiome und Akroame.

Grundsätze sind entweder intuitive oder discursive. Die erstern können in der Anschauung dargestellt werden und heißen Axiome (axiomata); die letztern lassen sich nur durch Begriffe ausdrücken und können Akroame (acroamata) genannt werden.

§. 36.
Analytische und synthetische Sätze.

Analytische Sätze heißen solche, deren Gewißheit auf Identität der Begriffe (des Prädicats mit der Notion des Subjects) beruht. Sätze, deren Wahrheit sich nicht auf Identität der Begriffe gründet, müssen synthetische genannt werden.

  • Anmerk.
    1. Alles x, welchem der Begriff des Körpers (a + b) zukommt, dem kommt auch die Ausdehnung (b) zu, ist ein Exempel eines analytischen Satzes.
      Alles x, welchem der Begriff des Körpers (a + b) zukommt, dem kommt auch die Anziehung (c) zu; ist ein Exempel eines synthetischen Satzes. Die synthetischen Sätze vermehren das Erkenntniß materialiter , die analytischen blos formaliter . Jene enthalten Bestimmungen (determinationes), diese nur logische Prädicate.
    2. Analytische Principien sind nicht Axiome, denn sie sind discursiv. Und synthetische Principien sind auch nur dann Axiome, wenn sie intuitiv sind.

§. 37.
Tautologische Sätze.

Die Identität der Begriffe in analytischen Urtheilen kann entweder eine ausdrückliche (explicita) oder eine nicht-ausdrückliche (implicita) sein. Im erstern Falle sind die analytischen Sätze tautologisch.

  • Anmerk.
    1. Tautologische Sätze sind virtualiter leer oder folgeleer, denn sie sind ohne Nutzen und Gebrauch. Dergleichen ist z. B. der tautologische Satz: der Mensch ist Mensch. Denn wenn ich vom Menschen nichts weiter zu sagen weiß, als daß er ein Mensch ist: so weiß ich gar weiter nichts von ihm.
      Implicite identische Sätze sind dagegen nicht folge- oder fruchtleer; denn sie machen das Prädicat, welches im Begriffe des Subjects unentwickelt (implicite) lag, durch Entwickelung (explicatio) klar.
    2. Folgeleere Sätze müssen von sinnleeren unterschieden werden, die darum leer an Verstand sind, weil sie die Bestimmung sogenannter verborgener Eigenschaften (qualitates occultae) betreffen.

§. 38.
Postulat und Problem.

Ein Postulat ist ein praktischer, unmittelbar gewisser Satz oder ein Grundsatz, der eine mögliche Handlung bestimmt, bei welcher vorausgesetzt wird, daß die Art sie auszuführen, unmittelbar gewiß sei.

Probleme (problemata) sind demonstrable, einer Anweisung bedürftige Sätze, oder solche, die eine Handlung aussagen, deren Art der Ausführung nicht unmittelbar gewiß ist.

  • Anmerk.
    1. Es kann auch theoretische Postulate geben zum Behuf der praktischen Vernunft. Dieses sind theoretische, in praktischer Vernunftabsicht nothwendige Hypothesen, wie die des Daseins Gottes, der Freiheit und einer anderen Welt.
    2. Zum Problem gehört 1) die Quästion, die das enthält, was geleistet werden soll, 2) die Resolution, die die Art und Weise enthält, wie das zu leistende könne ausgeführt werden, und 3) die Demonstration, daß, wenn ich so werde Verfahren haben, das Geforderte geschehen werde.

§. 39.
Theoreme, Corollarien, Lehnsätze und Scholien.

Theoreme sind theoretische, eines Beweises fähige und bedürftige Sätze. Corollarien sind unmittelbare Folgen aus einem der vorhergehenden Sätze. Lehnsätze (lemmata) heißen Sätze, die in der Wissenschaft, worin sie als erwiesen vorausgesetzt werden, nicht einheimisch, sondern aus anderen Wissenschaften entlehnt sind. Scholien endlich sind blose Erläuterungssätze, die also nicht als Glieder zum Ganzen des Systems gehören.

  • Anmerk. Wesentliche und allgemeine Momente eines jeden Theorems sind die Thesis und die Demonstration. Den Unterschied zwischen Theoremen und Corollarien kann man übrigens auch darin setzen, daß diese unmittelbar geschlossen, jene dagegen durch eine Reihe von Folgen aus unmittelbar gewissen Sätzen gezogen werden.

§. 40.
Wahrnehmungs- und Erfahrungsurtheile.

Ein Wahrnehmungsurtheil ist blos subjectiv; ein objectives Urtheil aus Wahrnehmungen ist ein Erfahrungsurtheil.

  • Anmerk. Ein Urtheil aus blosen Wahrnehmungen ist nicht wohl möglich als nur dadurch, daß ich meine Vorstellung, als Wahrnehmung, aussage: Ich, der ich einen Thurm wahrnehme, nehme an ihm die rothe Farbe wahr. Ich kann aber nicht sagen: er ist roth. Denn dieses wäre nicht blos ein empirisches, sondern auch ein Erfahrungsurtheil, d. i. ein empirisches Urtheil, dadurch ich einen Begriff vom Object bekomme. Z. B. bei der Berührung des Steins empfinde ich Wärme, ist ein Wahrnehmungsurtheil, hingegen: der Stein ist warm — ein Erfahrungsurtheil. Es gehört zum letztern, daß ich das, was blos in meinem Subject ist, nicht zum Object rechne, denn ein Erfahrungsurtheil ist die Wahrnehmung, woraus ein Begriff vom Object entspringt; z. B. ob im Monde lichte Punkte sich bewegen oder in der Luft oder in meinem Auge.

Dritter Abschnitt.
Von den Schlüssen
.

§. 41.
Schluß überhaupt.

Unter Schließen ist diejenige Function des Denkens zu verstehen, wodurch ein Urtheil aus einem anderen hergeleitet wird. Ein Schluß überhaupt ist also die Ableitung eines Urtheils aus dem anderen.

§. 42.
Unmittelbare und mittelbare Schlüsse.

Alle Schlüsse sind entweder unmittelbare oder mittelbare.

Ein unmittelbarer Schluß (consequentia immediata) ist die Ableitung (deductio) eines Urtheils aus dem anderen ohne ein vermittelndes Urtheil (judicium intermedium). Mittelbar ist ein Schluß, wenn man außer dem Begriffe, den ein Urtheil in sich enthält, noch andre braucht, um ein Erkenntniß daraus herzuleiten.

§. 43.
Verstandesschlüsse, Vernunftschlüsse und Schlüsse der Urtheilskraft.

Die unmittelbaren Schlüsse heißen auch Verstandesschlüsse; alle mittelbaren Schlüsse hingegen sind entweder Vernunftschlüsse oder Schlüsse der Urtheilskraft. Wir handeln hier zuerst von den unmittelbaren oder den Verstandesschlüssen.

I. Verstandesschlüsse.

§. 44.
Eigenthümliche Natur der Verstandesschlüsse.

Der wesentliche Character aller unmittelbaren Schlüsse und das Princip ihrer Möglichkeit besteht lediglich in einer Veränderung der blosen Form der Urtheile; während die Materie der Urtheile, das Subject und Prädicat, unverändert dieselbe bleibt.

  • Anmerk.
    1. Dadurch daß in den unmittelbaren Schlüssen nur die Form und keineswegs die Materie der Urtheile verändert wird, unterscheiden sich diese Schlüsse wesentlich von allen mittelbaren, in welchen die Urtheile auch der Materie nach unterschieden sind, indem hier ein neuer Begriff als vermittelndes Urtheil, oder als Mittelbegriff (terminus medius) hinzukommen muß, um das eine Urtheil aus dem anderen zu folgern. Wenn ich z. B. schließe: alle Menschen sind sterblich, also ist auch Cajus sterblich; so ist dies kein unmittelbarer Schluß. Denn hier brauche ich zu der Folgerung noch das vermittelnde Urtheil: Cajus ist ein Mensch; durch diesen neuen Begriff wird aber die Materie der Urtheile verändert.
    2. Es läßt sich zwar auch bei den Verstandesschlüssen ein judicium intermedium machen, aber alsdann ist dieses vermittelnde Urtheil blos tautologisch. Wie z. B. in dem unmittelbaren Schlusse: Alle Menschen sind sterblich, einige Menschen sind Menschen, also sind einige Menschen sterblich, der Mittelbegriff ein tautologischer Satz ist.

§. 45.
Modi der Verstandesschlüsse.

Die Verstandesschlüsse gehen durch alle Klassen der logischen Functionen des Urtheilens und sind folglich in ihren Hauptarten bestimmt durch die Momente der Quantität, der Qualität, der Relation und der Modalität. Hierauf beruht die folgende Eintheilung dieser Schlüsse.

§. 46.
1. Verstandesschlüsse (in Beziehung auf die Quantität der Urtheile) per judicia subalternata.

In den Verstandesschlüssen per judicia subalternata sind die beiden Urtheile der Quantität nach unterschieden, und es wird hier das besondere Urtheil aus dem allgemeinen abgeleitet, dem Grundsatze zufolge: vom Allgemeinen gilt der Schluß auf das Besondere (ab universali ad particulare valet consequentia).

  • Anmerk. Ein judicium heißt subalternatum, sofern es unter dem anderen enthalten ist; wie z. B. besondere Urtheile unter allgemeinen.

§. 47.
1. Verstandesschlüsse (in Beziehung auf die Qualität der Urtheile) per judicia opposita.

Bei den Verstandesschlüssen dieser Art betrifft die Veränderung die Qualität der Urtheile und zwar in Beziehung auf die Entgegensetzung betrachtet. Da nun diese Entgegensetzung eine dreifache sein kann, so ergiebt sich hieraus folgende besondere Eintheilung des unmittelbaren Schließens: durch contradictorisch entgengesetzte, durch conträre und durch subconträre Urtheile.

  • Anmerk. Verstandesschlüsse durch gleichgeltende Urtheile (judicia aequipollentia) können eigentlich keine Schlüsse genannt werden, denn hier findet keine Folge statt, sie sind vielmehr als eine blose Substitution der Worte anzusehen, die einen und denselben Begriff bezeichnen, wobei die Urtheile selbst auch der Form nach unverändert bleiben. Z. B.: Nicht alle Menschen sind tugendhaft, und: Einige Menschen sind nicht tugendhaft. Beide Urtheile sagen ein und dasselbe.

§. 48.
a. Verstandesschlüsse per judicia contradictorie opposita.

In Verstandesschlüssen durch Urtheile, die einander contradictorisch entgegengesetzt sind und als solche die ächte, reine Opposition ausmachen, wird die Wahrheit des einen der contradictorisch entgegengesetzten Urtheile aus der Falschheit des anderen gefolgert und umgekehrt. Denn die ächte Opposition, die hier stattfindet, enthält nicht mehr noch weniger als was zur Entgegensetzung gehört. Dem Princip des ausschließenden Dritten zufolge können daher nicht beide widersprechende Urtheile wahr, aber auch eben so wenig können sie beide falsch sein. Wenn daher das eine wahr ist, so ist das andre falsch und umgekehrt.

§. 49.
b. Verstandesschlüsse per judicia contrarie opposita.

Conträre oder widerstreitende Urtheile (judicia contrarie opposita) sind Urtheile, von denen das eine allgemein bejahend, das andre allgemein verneinend ist. Da nun eines derselben mehr aussagt, als das andre, und in dem Ueberflüssigen, das es außer der blosen Verneinung des anderen noch mehr aussagt, die Falschheit liegen kann: so können sie zwar nicht beide wahr, aber sie können beide falsch sein. In Ansehung dieser Urtheile gilt daher nur der Schluß von der Wahrheit des einen auf die Falschheit des anderen; aber nicht umgekehrt.

§. 50.
c. Verstandesschlüsse per judicia subcontrarie opposita.

Subconträre Urtheile sind solche, von denen das eine besonders (particulariter) bejaht oder verneint, was das andre besonders verneint oder bejaht.

Da sie beide wahr, aber nicht beide falsch sein können, so gilt in Ansehung ihrer nur der folgende Schluß: wenn der eine dieser Sätze falsch ist, so ist der andre wahr; aber nicht umgekehrt.

  • Anmerk. Bei den subconträren Urtheilen findet keine reine, strenge Opposition Statt; denn es wird in dem einen nicht von denselben Objecten verneint oder bejaht, was in dem anderen bejaht oder verneint wurde. In dem Schlusse z. B.: einige Menschen sind gelehrt, also sind einige Menschen nicht gelehrt, wird in dem ersten Urtheile nicht von denselben Menschen das behauptet, was im anderen verneint wird.

§. 51.
3. Verstandesschlüsse (in Rücksicht auf die Relation der Urtheile) per judicia conversa sive per conversionem.

Die unmittelbaren Schlüsse durch Umkehrung betreffen die Relation der Urtheile und bestehen in der Versetzung der Subjecte und Prädicate in den beiden Urtheilen, so daß das Subject des einen Urtheils zum Prädicat des anderen Urtheils gemacht wird, und umgekehrt.

§. 52.
Reine und veränderte Umkehrung.

Bei der Umkehrung wird die Quantität der Urtheile entweder verändert oder sie bleibt unverändert. Im erstern Falle ist das Umgekehrte (conversum) von dem Umkehrenden (convertente) der Quantität nach unterschieden, und die Umkehrung heißt eine veränderte (conversio per accidens), im letztern Falle wird die Umkehrung eine reine (conversio simpliciter talis) genannt.

§. 53.
Allgemeine Regeln der Umkehrung.

In Absicht auf die Verstandesschlüsse durch die Umkehrung gelten folgende Regeln:

  1. Allgemein bejahende Urtheile lassen sich nur per accidens umkehren; denn das Prädicat in diesen Urtheilen ist ein weiterer Begriff, und es ist also nur Einiges von demselben in dem Begriffe des Subjects enthalten.
  2. Aber alle allgemein verneinenden Urtheile lassen sich simpliciter umkehren; denn hier wird das Subject aus der Sphäre des Prädicats herausgehoben. Ebenso lassen sich endlich
  3. Alle particulär bejahenden Sätze simpliciter umkehren; denn in diesen Urtheilen ist ein Theil der Sphäre des Subjects dem Prädicate subsumirt worden, also läßt sich auch ein Theil von der Sphäre des Prädicats dem Subjecte subsumiren.
  • Anmerk.
    1. In allgemein bejahenden Urtheilen wird das Subject als ein contentum des Prädicats betrachtet, da es unter der Sphäre desselben enthalten ist. Ich darf daher z. B. nur schließen: alle Menschen sind sterblich; also sind einige von denen, die unter dem Begriff Sterbliche enthalten sind, Menschen. Daß aber allgemein verneinende Urtheile sich simpliciter umkehren lassen, davon ist die Ursache diese: daß zwei einander allgemein widersprechende Begriffe sich in gleichem Umfange widersprechen.
    2. Manche allgemein bejahenden Urtheile lassen sich zwar auch simpliciter umkehren. Aber der Grund hievon liegt nicht in ihrer Form, sondern in der besondern Beschaffenheit ihrer Materie; wie z. B. die beiden Urtheile: alles Unveränderliche ist nothwendig, und alles Nothwendige ist unveränderlich.

§. 54.
4. Verstandesschlüsse (in Beziehung auf die Modalität der Urtheile) per judicia contraposita.

Die unmittelbare Schlußart durch die Contraposition besteht in derjenigen Versetzung (metathesis) der Urtheile, bei welcher blos die Quantität dieselbe bleibt, die Qualität dagegen verändert wird. Sie betreffen nur die Modalität der Urtheile, indem sie ein assertorisches in ein apodiktisches Urtheil verwandeln.

§. 55.
Allgemeine Regel der Contraposition.

In Absicht auf die Contraposition gilt die allgemeine Regel:

Alle allgemein bejahenden Urtheile lassen sich simpliciter contraponiren. Denn wenn das Prädicat als dasjenige, was das Subject unter sich enthält, mithin die ganze Sphäre verneint wird: so muß auch ein Theil derselben verneint werden, d. i. das Subject.

  • Anmerk.
    1. Die Metathesis der Urtheile durch die Conversion und die durch die Contraposition sind also in so fern einander entgegengesetzt, als jene blos die Quantität, diese blos die Qualität verändert.
    2. Die gedachten unmittelbaren Schlußarten beziehen sich blos auf kategorische Urtheile.

II. Vernunftschlüsse.

§. 56.
Vernunftschluß überhaupt.

Ein Vernunftschluß ist das Erkenntniß der Nothwendigkeit eines Satzes durch die Subsumtion seiner Bedingung unter eine gegebene allgemeine Regel.

§. 57.
Allgemeines Princip aller Vernunftschlüsse.

Das allgemeine Princip, worauf die Gültigkeit alles Schließens durch die Vernunft beruht, läßt sich in folgender Formel bestimmt ausdrücken:

Was unter der Bedingung einer Regel steht, das steht auch unter der Regel selbst.

  • Anmerk. Der Vernunftschluß prämittirt eine allgemeine Regel und eine Subsumtion unter die Bedingung derselben. — Man erkennt dadurch die Conclusion a priori nicht im Einzelnen, sondern als enthalten im Allgemeinen und als nothwendig unter einer gewissen Bedingung. Und dies, daß alles unter dem Allgemeinen stehe und in allgemeinen Regeln bestimmbar sei, ist eben das Princip der Rationalität oder der Nothwendigkeit (principium rationalitatis sive necessitatis).

§. 58.
Wesentliche Bestandstücke des Vernunftschlusses.

Zu einem jeden Vernunftschlusse gehören folgende wesentlichen drei Stücke:

  1. eine allgemeine Regel, welche der Obersatz (propositio major) genannt wird,
  2. der Satz, der ein Erkenntniß unter die Bedingung der allgemeinen Regel subsumirt und der Untersatz (propositio minor) heißt, und endlich
  3. der Satz, welcher das Prädicat der Regel von der subsumirten Erkenntniß bejaht oder verneint: der Schlußsatz (conclusio).

Die beiden erstern Sätze werden in ihrer Verbindung mit einander die Vordersätze oder Prämissen genannt.

  • Anmerk. Eine Regel ist eine Assertion unter einer allgemeinen Bedingung. Das Verhältniß der Bedingung zur Assertion, wie nämlich diese unter jener steht, ist der Exponent der Regel.
    Die Erkenntniß, daß die Bedingung (irgendwo) stattfinde, ist die Subsumtion.
    Die Verbindung desjenigen, was unter der Bedingung subsumirt worden, mit der Assertion der Regel, ist der Schluß.

§. 59.
Materie und Form der Vernunftschlüsse.

In den Vordersätzen oder Prämissen besteht die Materie; und in der Conclusion, sofern sie die Consequenz enthält, die Form der Vernunftschlüsse.

  • Anmerk.
    1. Bei jedem Vernunftschlusse ist also zuerst die Wahrheit der Prämissen und sodann die Richtigkeit der Consequenz zu prüfen. Nie muß man bei Verwerfung eines Vernunftschlusses zuerst die Conclusion verwerfen, sondern immer erst entweder die Prämissen oder die Consequenz.
    2. In jedem Vernunftschlusse ist die Conclusion sogleich gegeben, so bald die Prämissen und die Consequenz gegeben sind.

§. 60.
Eintheilung der Vernunftschlüsse (der Relation nach) in kategorische, hypothetische und disjunctive.

Alle Regeln (Urtheile) enthalten objective Einheit des Bewußtseins des Mannigfaltigen der Erkenntniß, mithin eine Bedingung, unter der ein Erkenntniß mit dem anderen zu einem Bewußtsein gehört. Nun lassen sich aber nur drei Bedingungen dieser Einheit denken, nämlich: als Subject der Inhärenz der Merkmale, oder als Grund der Dependenz eines Erkenntnisses zum anderen; oder endlich als Verbindung der Theile in einem Ganzen (logische Eintheilung). Folglich kann es auch nur eben so viele Arten von allgemeinen Regeln (propositiones majores) geben, durch welche die Consequenz eines Urtheils aus dem anderen vermittelt wird.

Und hierauf gründet sich die Eintheilung aller Vernunftschlüsse in kategorische, hypothetische und disjunctive.

  • Anmerk.
    1. Die Vernunftschlüsse können weder der Quantität nach eingetheilt werden, denn jeder major ist eine Regel, mithin etwas Allgemeines; noch in Ansehung der Qualität, denn es ist gleichgeltend, ob die Conclusion bejahend oder verneinend ist; noch endlich in Rücksicht auf die Modalität, denn die Conclusion ist immer mit dem Bewußtsein der Nothwendigkeit begleitet und hat folglich die Dignität eines apodiktischen Satzes. Also bleibt allein nur die Relation als einzig möglicher Eintheilungsgrund der Vernunftschlüsse übrig.
    2. Viele Logiker halten nur die kategorischen Vernunftschlüsse für ordentliche; die übrigen hingegen für außerordentliche. Allein dieses ist grundlos und falsch. Denn alle drei dieser Arten sind Producte gleich richtiger, aber von einander gleich wesentlich verschiedener Functionen der Vernunft.

§. 61.
Eigenthümlicher Unterschied zwischen kategorischen, hypothetischen und disjunctiven Vernunftschlüssen.

Das Unterscheidende unter den drei gedachten Arten von Vernunftschlüssen liegt im Obersatze. In kategorischen Vernunftschlüssen ist der Major ein kategorischer, in hypothetischen ist er ein hypothetischer oder problematischer, und in disjunctiven ein disjunctiver Satz.

§. 62.
1. Kategorische Vernunftschlüsse.

In einem jeden kategorischen Vernunftschlusse befinden sich drei Hauptbegriffe (termini), nämlich:

  1. das Prädicat in der Conclusion, welcher Begriff der Oberbegriff (terminus major) heißt, weil er eine größere Sphäre hat als das Subject;
  2. das Subject (in der Conclusion), dessen Begriff der Unterbegriff (terminus minor) heißt, und
  3. ein vermittelndes Merkmal (nota intermedia), welches der Mittelbegriff (terminus medius) heißt, weil durch denselben ein Erkenntniß unter die Bedingung der Regel subsumirt wird.
  • Anmerk. Dieser Unterschied in den gedachten terminis findet nur in kategorischen Vernunftschlüssen Statt, weil nur diese allein durch einen terminum medium schließen; die anderen dagegen nur durch die Subsumtion eines im Major problematisch und im Minor assertorisch vorgestellten Satzes.

§. 63.
Princip der kategorischen Vernunftschlüsse.

Das Princip, worauf die Möglichkeit und Gültigkeit aller kategorischen Vernunftschlüsse beruht, ist dieses:

Was dem Merkmale einer Sache zukommt, das kommt auch der Sache selbst zu; und was dem Merkmale einer Sache widerspricht, das widerspricht auch der Sache selbst (nota notae est nota rei ipsius; repugnans notae, repugnat rei ipsi).

  • Anmerk. Aus dem so eben aufgestellten Princip läßt sich das sogenannte Dictum de omni et nullo leicht deduciren, und es kann um deswillen nicht als das oberste Princip weder für die Vernunftschlüsse überhaupt, noch für die kategorischen insbesondere gelten.
    Die Gattungs- und Art-Begriffe sind nämlich allgemeine Merkmale aller der Dinge, die unter diesen Begriffen stehen. Es gilt demnach hier die Regel: was der Gattung oder Art zukommt oder widerspricht, das kommt auch zu oder widerspricht allen den Objecten, die unter jener Gattung oder Art enthalten sind. Und diese Regel heißt eben das Dictum de omni et nullo.

§. 64.
Regeln für die kategorischen Vernunftschlüsse.

Aus der Natur und dem Princip der kategorischen Vernunftschlüsse fließen folgende Regeln für dieselben:

  1. In jedem kategorischen Vernunftschlusse können nicht mehr noch weniger Hauptbegriffe (termini) enthalten sein als drei; denn ich soll hier zwei Begriffe (Subject und Prädicat) durch ein vermittelndes Merkmal verbinden.
  2. Die Vordersätze oder Prämissen dürfen nicht insgesammt verneinen (ex puris negativis nihil sequitur); denn die Subsumtion im Untersatze muß bejahend sein, als welche aussagt, daß ein Erkenntniß unter der Bedingung der Regel stehe.
  3. Die Prämissen dürfen auch nicht insgesammt besondere (particulare) Sätze sein (ex puris particularibus nihil sequitur); denn alsdann gäbe es keine Regel, d. h. keinen allgemeinen Satz, woraus ein besonderes Erkenntniß könnte gefolgert werden.
  4. Die Conclusion richtet sich allemal nach dem schwächern Theile des Schlusses; d. h. nach dem verneinenden und besondern Satze in den Prämissen, als welcher der schwächere Theil des kategorischen Vernunftschlusses genannt wird (conclusio sequitur partem debiliorem). Ist daher
  5. einer von den Vordersätzen ein negativer Satz: so muß die Conclusion auch negativ sein; und
  6. ist ein Vordersatz ein particularer Satz: so muß die Conclusion auch particular sein.
  7. In allen kategorischen Vernunftschlüssen muß der Major ein allgemeiner (universalis), der Minor aber ein bejahender Satz (affirmans) sein, und hieraus folgt endlich,
  8. daß die Conclusion in Ansehung der Qualität nach dem Obersatze, in Rücksicht auf die Quantität aber nach dem Untersatze sich richten müsse.
  • Anmerk. Daß sich die Conclusion jederzeit nach dem verneinenden und besondern Satze in den Prämissen richten müsse, ist leicht einzusehen.
    Wenn ich den Untersatz nur particular mache und sage: Einiges ist unter der Regel enthalten; so kann ich in der Conclusion auch nur sagen, da das Prädicat der Regel Einigem zukomme, weil ich nicht mehr als dieses unter die Regel subsumirt habe. Und wenn ich einen verneinenden Satz zur Regel (Obersatz) habe: so muß ich die Conclusion auch verneinend machen. Denn wenn der Obersatz sagt: Von allem, was unter der Bedingung der Regel steht, muß dieses oder jenes Prädicat verneint werden: so muß die Conclusion das Prädicat auch von dem (Subject) verneinen, was unter die Bedingung der Regel subsumirt worden.

§. 65.
Reine und vermischte kategorische Vernunftschlüsse.

Ein kategorischer Vernunftschluß ist rein ( purus ), wenn in demselben kein unmittelbarer Schluß eingemischt, noch die gesetzmäßige Ordnung der Prämissen verändert ist; widrigenfalls wird er ein unreiner oder vermischter (ratiocinium impurum oder hybridum) genannt.

§. 66.
Vermischte Vernunftschlüsse durch Umkehrung der Sätze — Figuren.

Zu den vermischten Schlüssen sind diejenigen zu rechnen, welche durch die Umkehrung der Sätze entstehen und in denen also die Stellung dieser Sätze nicht die gesetzmäßige ist. — Dieser Fall findet statt bei den drei letztern sogenannten Figuren des kategorischen Vernunftschlusses.

§. 67.
Vier Figuren der Schlüsse.

Unter Figuren sind diejenigen vier Arten zu schließen zu verstehen, deren Unterschied durch die besondere Stellung der Prämissen und ihrer Begriffe bestimmt wird.

§. 68.
Bestimmungsgrund ihres Unterschiedes durch die verschiedene Stellung des Mittelbegriffes.

Es kann nämlich der Mittelbegriff, auf dessen Stellung es hier eigentlich ankommt, entweder 1) im Obersatze die Stelle des Subjects und im Untersatze die Stelle des Prädicats, oder 2) in beiden Prämissen die Stelle des Prädicats, oder 3) in beiden die Stelle des Subjects, oder endlich 4) im Obersatze die Stelle des Prädicats und im Untersatze die Stelle des Subjects einnehmen. Durch diese vier Fälle ist der Unterschied der vier Figuren bestimmt. Es bezeichne S das Subject der Conclusion, P das Prädicat derselben und M den terminum medium, so läßt sich das Schema für die gedachten vier Figuren in folgender Tafel darstellen:

  • M P
    S M
    P M
    S M
    M P
    M S
    P M
    M S
    S P S P S P S P

§. 69.
Regel für die erste Figur, als die einzig gesetzmäßige.

Die Regel der ersten Figur ist: daß der Major ein allgemeiner, der Minor ein bejahender Satz sei. Und da dieses die allgemeine Regel aller kategorischen Vernunftschlüsse überhaupt sein muß: so ergiebt sich hieraus, daß die erste Figur die einzig gesetzmäßige sei, die allen übrigen zum Grunde liegt, und worauf alle übrigen, sofern sie Gültigkeit haben sollen, durch Umkehrung der Prämissen (metathesin praemissorum) zurückgeführt werden müssen.

  • Anmerk. Die erste Figur kann eine Conclusion von aller Quantität und Qualität haben. In den übrigen Figuren giebt es nur Conclusionen von gewisser Art; einige modi derselben sind hier ausgeschlossen. Dies zeigt schon an, daß diese Figuren nicht vollkommen, sondern daß gewisse Einschränkungen dabei vorhanden sind, die es verhindern, daß die Conclusion nicht in allen modis, wie in der ersten Figur, Statt finden kann.

§. 70.
Bedingung der Reduction der drei letztern Figuren auf die erstere.

Die Bedingung der Gültigkeit der drei letztern Figuren, unter welcher in einer jeden derselben ein richtiger Modus des Schließens möglich ist, läuft darauf hinaus: daß der Medius Terminus in den Sätzen eine solche Stelle erhalte, daraus durch unmittelbare Schlüsse (consequentias immediatas) die Stelle derselben nach den Regeln der ersten Figur entspringen kann. - Hieraus ergeben sich folgende Regeln für die drei letztern Figuren.

§. 71.
Regel der zweiten Figur.

In der zweiten Figur steht der Minor recht, also muß der Major umgekehrt werden, und zwar so, daß er allgemein (universalis) bleibt. Dieses ist nur möglich, wenn er allgemein verneinend ist; ist er aber bejahend, so muß er contraponirt werden. In beiden Fällen wird die Conclusion negativ (sequitur partem debiliorem).

  • Anmerk. Die Regel der zweiten Figur ist: Wem ein Merkmal eines Dinges widerspricht, das widerspricht der Sache selbst. Hier muß ich nun erst umkehren und sagen: Wem ein Merkmal widerspricht, das widerspricht diesem Merkmal, oder ich muß die Conclusion umkehren: Wem ein Merkmal eines Dinges widerspricht, dem widerspricht die Sache selbst, folglich widerspricht es der Sache.

§. 72.
Regel der dritten Figur.

In der dritten Figur steht der Major recht; also muß der Minor umgekehrt werden; doch so, daß ein bejahender Satz daraus entspringt. Dieses aber ist nur möglich, indem der bejahende Satz particular ist; folglich ist die Conclusion particular.

  • Anmerk. Die Regel der dritten Figur ist: Was einem Merkmale zukommt oder widerspricht, das kommt auch zu oder widerspricht Einigen, unter denen dieses Merkmal enthalten ist. — Hier muß ich erst sagen: Es kommt zu oder widerspricht Allen, die unter diesem Merkmal enthalten sind.

§. 73.
Regel der vierten Figur.

Wenn in der vierten Figur der Major allgemein verneinend ist: so läßt er sich rein (simpliciter) umkehren, eben so der Minor als particular; also ist die Conclusion negativ. Ist hingegen der Major allgemein bejahend: so läßt er sich entweder nur per accidens umkehren oder contraponiren; also ist die Conclusion entweder particular oder negativ. Soll die Conclusion nicht umgekehrt (PS in SP verwandelt) werden: so muß eine Versetzung der Prämissen (metathesis praemissorum) oder eine Umkehrung (conversio) beider geschehen.

  • Anmerk. In der vierten Figur wird geschlossen: das Prädicat hängt am medio termino, der medius terminus am Subject (der Conclusion), folglich das Subject am Prädicat; welches aber gar nicht folgt, sondern allenfalls sein Umgekehrtes. Um dieses möglich zu machen, muß der Major zum Minor und vice versa gemacht und die Conclusion umgekehrt werden, weil bei der erstern Veränderung terminus minor in majorem verwandelt wird.

§. 74.
Allgemeine Resultate über die drei letztern Figuren.

Aus den angegebenen Regeln für die drei letztern Figuren erhellt:

  1. daß in keiner derselben es eine allgemein bejahende Conclusion giebt, sondern daß die Conclusion immer entweder negativ oder particular ist;
  2. daß in einer jeden ein unmittelbarer Schluß (consequentia immediata) eingemischt ist, der zwar nicht ausdrücklich bezeichnet wird, aber doch stillschweigend mit einverstanden werden muß, daß also auch um deswillen
  3. alle diese drei letztern modi des Schließens nicht reine, sondern unreine Schlüsse (ratiocinia hybrida, impura) genannt werden müssen, da jeder reine Schluß nicht mehr als drei Hauptsätze (termini) haben kann.

§. 75.
2. Hypothetische Vernunftschlüsse.

Ein hypothetischer Schluß ist ein solcher, der zum Major einen hypothetischen Satz hat. Er besteht also aus zwei Sätzen, 1) einem Vordersatze (antecedens) und 2) einem Nachsatze (consequens), und es wird hier entweder nach dem modo ponente oder dem modo tollente gefolgert.

  • Anmerk.
    1. Die hypothetischen Vernunftschlüsse haben also keinen medium terminum, sondern es wird bei denselben die Consequenz eines Satzes aus dem anderen nur angezeigt. Es wird nämlich im Major derselben die Consequenz zweier Sätze aus einander ausgedrückt, von denen der erste eine Prämisse, der zweite eine Conclusion ist. Der Minor ist eine Verwandlung der problematischen Bedingung in einen kategorischen Satz.
    2. Daraus daß der hypothetische Schluß nur aus zwei Sätzen besteht, ohne einen Mittelbegriff zu haben, ist zu ersehen: daß er eigentlich kein Vernunftschluß sei, sondern vielmehr nur ein unmittelbarer, aus einem Vordersatze und Nachsatze, der Materie oder der Form nach, zu erweisender Schluß (consequentia immediata demonstrabilis [ex antecedente et consequente] vel quoad materiam vel quoad formam).

Ein jeder Vernunftschluß soll ein Beweis sein. Nun führt aber der hypothetische nur den Beweis-Grund bei sich. Folglich ist auch hieraus klar, da er kein Vernunftschluß sein könne.

§. 76.
Princip der hypothetischen Schlüsse.

Das Princip der hypothetischen Schlüsse ist der Satz des Grundes: A ratione ad rationatum; a negatione rationati ad negationem rationis valet consequentia.

§. 77.
3. Disjunctive Vernunftschlüsse.

In den disjunctiven Schlüssen ist der Major ein disjunctiver Satz und muß daher, als solcher, Glieder der Eintheilung oder Disjunction haben.

Es wird hier entweder 1) von der Wahrheit Eines Gliedes der Disjunction auf die Falschheit der übrigen geschlossen, oder 2) von der Falschheit aller Glieder, außer einem, auf die Wahrheit dieses einen. Jenes geschieht durch den modum ponentem (oder ponendo tollentem), dieses durch den modum tollentem (tollendo ponentem).

  • Anmerk.
    1. Alle Glieder der Disjunction, außer Einem, zusammengenommen, machen das contradictorische Gegentheil dieses Einen aus. Es findet also hier eine Dichotomie statt, nach welcher, wenn eines von beiden wahr ist, das andre falsch sein muß und umgekehrt.
    2. Alle disjunctiven Vernunftschlüsse von mehr als zwei Gliedern der Disjunction sind also eigentlich polysyllogistisch. Denn alle wahre Disjunction kann nur bimembris sein, und die logische Division ist auch bimembris, aber die membra subdividentia werden um der Kürze willen unter die membra dividentia gesetzt.

§. 78.
Princip der disjunctiven Vernunftschlüsse.

Das Princip der disjunctiven Vernunftschlüsse ist der Grundsatz des ausschließenden Dritten:

A contradictorie oppositorum negatione unius ad affirmationem alterius, a positione unius ad negationem alterius valet consequentia.

§. 79.
Dilemma.

Ein Dilemma ist ein hypothetisch-disjunctiver Vernunftschluß; oder ein hypothetischer Schluß, dessen consequens ein disjunctives Urtheil ist. Der hypothetische Satz, dessen consequens disjunctiv ist, ist der Obersatz; der Untersatz bejaht, daß das consequens (per omnia membra) falsch ist und der Schlußsatz bejaht, daß das antecedens falsch sei. (A remotione consequentis ad negationem antecedentis valet consequentia.)

  • Anmerk. Die Alten machten sehr viel aus dem Dilemma und nannten diesen Schluß cornutus. Sie wußten einen Gegner dadurch in die Enge zu treiben, daß sie Alles hersagten, wo er sich hinwenden konnte und ihm dann auch Alles widerlegten. Sie zeigten ihm viele Schwierigkeiten bei jeder Meinung, die er annahm. — Aber es ist ein sophistischer Kunstgriff, Sätze nicht geradezu zu widerlegen, sondern nur Schwierigkeiten zu zeigen; welches denn auch bei vielen, ja bei den mehresten Dingen angeht.
    Wenn wir nun alles das sogleich für falsch erklären wollen, wobei sich Schwierigkeiten finden: so ist es ein leichtes Spiel, alles zu verwerfen. Zwar ist es gut, die Unmöglichkeit des Gegentheils zu zeigen, allein hierin liegt doch etwas Täuschendes, wofern man die Unbegreiflichkeit des Gegentheils für die Unmöglichkeit desselben hält. Die Dilemmata haben daher vieles Verfängliche an sich, ob sie gleich richtig schließen. Sie können gebraucht werden, wahre Sätze zu vertheidigen, aber auch wahre Sätze anzugreifen durch Schwierigkeiten, die man gegen sie aufwirft.

§. 80.
Förmliche und versteckte Vernunftschlüsse (ratiocinia formalia und cryptica).

Ein förmlicher Vernunftschluß ist ein solcher, der nicht nur der Materie nach alles Erforderliche enthält, sondern auch der Form nach richtig und vollständig ausgedrückt ist. Den förmlichen Vernunftschlüssen sind die versteckten (cryptica) entgegengesetzt, zu denen alle diejenigen können gerechnet werden, in welchen entweder die Prämissen versetzt, oder eine der Prämissen ausgelassen, oder endlich der Mittelbegriff allein mit der Conclusion verbunden ist. Ein versteckter Vernunftschluß von der zweiten Art, in welchem die eine Prämisse nicht ausgedrückt, sondern nur mit gedacht wird, heißt ein verstümmelter oder ein Enthymema. Die der dritten Art werden zusammengezogene Schlüsse genannt.

III. Schlüsse der Urtheilskraft.

§. 81.
Bestimmende und reflectirende Urtheilskraft.

Die Urtheilskraft ist zwiefach: die bestimmende oder die reflectirende Urtheilskraft. Die erstere geht vom Allgemeinen zum Besonderen, die zweite vom Besonderen zum Allgemeinen. Die letztere hat nur subjective Gültigkeit; denn das Allgemeine, zu welchem sie vom Besondern fortschreitet, ist nur empirische Allgemeinheit; ein bloses Analogon der logischen.

§. 82.
Schlüsse der (reflectirenden) Urtheilskraft.

Die Schlüsse der Urtheilskraft sind gewisse Schlußarten, aus besondern Begriffen zu allgemeinen zu kommen. Es sind also nicht Functionen der bestimmenden, sondern der reflectirenden Urtheilskraft; mithin bestimmen sie auch nicht das Object, sondern nur die Art der Reflexion über dasselbe, um zu seiner Kenntniß zu gelangen.

§. 83.
Princip dieser Schlüsse.

Das Princip, welches den Schlüssen der Urtheilskraft zum Grunde liegt, ist dieses: daß Vieles nicht ohne einen gemeinschaftlichen Grund in Einem zusammenstimmen, sondern daß das, was Vielem auf diese Art zukommt, aus einem gemeinschaftlichen Grunde nothwendig sein werde.

  • Anmerk. Da den Schlüssen der Urtheilskraft ein solches Princip zum Grunde liegt, so können sie um deswillen nicht für unmittelbare Schlüsse gehalten werden.

§. 84.
Induction und Analogie, die beiden Schlußarten der Urtheilskraft.

Die Urtheilskraft, indem sie vom Besondern zum Allgemeinen fortschreitet, um aus der Erfahrung, mithin nicht a priori (empirisch) allgemeine Urtheile zu ziehen, schließt entweder von vielen auf alle Dinge einer Art; oder von vielen Bestimmungen und Eigenschaften, worin Dinge von einerlei Art zusammenstimmen, auf die übrigen, sofern sie zu demselben Princip gehören. Die erstere Schlußart heißt der Schluß durch Induction, die andre der Schluß nach der Analogie.

  • Anmerk.
    1. Die Induction schließt also vom Besondern aufs Allgemeine (a particulari ad universale) nach dem Princip der Allgemeinmachung: was vielen Dingen einer Gattung zukommt, das kommt auch den übrigen zu. — Die Analogie schließt von particularer Aehnlichkeit zweier Dinge auf totale, nach dem Princip der Specification: Dinge von einer Gattung, von denen man vieles Uebereinstimmende kennt, stimmen auch in dem Uebrigen überein, was wir in einigen dieser Gattung kennen, an anderen aber nicht wahrnehmen. Die Induction erweitert das empirisch Gegebene vom Besondern aufs Allgemeine in Ansehung vieler Gegenstände, die Analogie dagegen die gegebenen Eigenschaften eines Dinges auf mehrere ebendesselben Dinges. Eines in Vielen, also in Allen: Induction. Vieles in Einem (was auch in Anderen ist,) also auch das Uebrige in demselben: Analogie. So ist z. B. der Beweisgrund für die Unsterblichkeit aus der völligen Entwickelung der Naturanlagen eines jeden Geschöpfs ein Schluß nach der Analogie.
      Bei dem Schlusse nach der Analogie wird indessen nicht die Identität des Grundes (par ratio) erfordert. Wir schließen nach der Analogie nur auf vernünftige Mondbewohner, nicht auf Menschen. Auch kann man nach der Analogie nicht über das tertium comparationis hinaus schließen.
    2. Ein jeder Vernunftschluß muß Nothwendigkeit geben. Induction und Analogie sind daher keine Vernunftschlüsse, sondern nur logische Präsumtionen oder auch empirische Schlüsse; und durch Induction bekommt man wohl generale, aber nicht universale Sätze.
    3. Die gedachten Schlüsse der Urtheilskraft sind nützlich und unentbehrlich zum Behuf der Erweiterung unsers Erfahrungserkenntnisses. Da sie aber nur empirische Gewißheit geben: so müssen wir uns ihrer mit Behutsamkeit und Vorsicht bedienen.

§. 85.
Einfache und zusammengesetzte Vernunftschlüsse.

Ein Vernunftschluß heißt einfach, wenn er nur aus einem; zusammengesetzt, wenn er aus mehreren Vernunftschlüssen besteht.

§. 86.
Ratiocinatio polysyllogistica.

Ein zusammengesetzter Schluß, in welchem die mehreren Vernunftschlüsse nicht durch blose Coordination, sondern durch Subordination, d. h. als Gründe und Folgen mit einander verbunden sind, wird eine Kette von Vernunftschlüssen genannt (ratiocinatio polysyllogistica).

§. 87.
Prosyllogismen und Episyllogismen.

In der Reihe zusammengesetzter Schlüsse kann man auf eine doppelte Art, entweder von den Gründen herab zu den Folgen, oder von den Folgen herauf zu den Gründen schließen. Das Erste geschieht durch Episyllogismen, das Andere durch Prosyllogismen.

Ein Episyllogismus ist nämlich derjenige Schluß in der Reihe von Schlüssen, dessen Prämisse die Conclusion eines Prosyllogismus, also eines Schlusses wird, welcher die Prämisse des erstern zur Conclusion hat.

§. 88.
Sorites oder Kettenschluß.

Ein aus mehreren abgekürzten und unter einander zu einer Conclusion verbundenen Schlüssen bestehender Schluß heißt ein Sorites oder Kettenschluß, der entweder progressiv oder regressiv sein kann; je nachdem man von den nähern Gründen zu den entferntern hinauf=, oder von den entferntern Gründen zu den nähern herabsteigt.

§. 89.
Kategorische und hypothetische Sorites.

Die progressiven sowohl als die regressiven Kettenschlüsse können hinwiederum entweder kategorische oder hypothetische sein. Jene bestehen aus kategorischen Sätzen als einer Reihe von Prädicaten, diese aus hypothetischen, als einer Reihe von Consequenzen.

§. 90.
Trugschluß, Paralogismus, Sophisma.

Ein Vernunftschluß, welcher der Form nach falsch ist, ob er gleich den Schein eines richtigen Schlusses für sich hat, heißt ein Trugschluß (fallacia). Ein solcher Schluß ist ein Paralogismus, in so fern man sich selbst dadurch hintergeht; ein Sophisma, sofern man Andere dadurch mit Absicht zu hintergehen sucht.

  • Anmerk. Die Alten beschäftigten sich sehr mit der Kunst, dergleichen Sophismen zu machen. Daher sind viele von der Art aufgekommen; z. B. das sophisma figurae dictionis, worin der medius terminus in verschiedener Bedeutung genommen wird; fallacia a dicto secundum quid ad dictum simpliciter, sophisma heterozeteseos, elenchi, ignorationis u. dgl. m. —

§. 91.
Sprung im Schließen.

Ein Sprung (saltus) im Schließen oder Beweisen ist die Verbindung einer Prämisse mit der Conclusion, so daß die andre Prämisse ausgelassen wird. Ein solcher Sprung ist rechtmäßig (legitimus), wenn ein Jeder die fehlende Prämisse leicht hinzudenken kann; unrechtmäßig (illegitimus) aber, wenn die Subsumtion nicht klar ist. Es wird hier ein entferntes Merkmal mit einer Sache ohne Zwischenmerkmal (nota intermedia) verknüpft.

§. 92.
Petitio principii. Circulus in probando.

Unter einer petitio principii versteht man die Annehmung eines Satzes zum Beweisgrunde als eines unmittelbar gewissen Satzes, obgleich er noch eines Beweises bedarf. Und einen Zirkel im Beweisen begeht man, wenn man denjenigen Satz, den man hat beweisen wollen, seinem eigenen Beweise zum Grunde legt.

  • Anmerk. Der Cirkel im Beweisen ist oft schwer zu entdecken, und dieser Fehler wird gerade da gemeiniglich am häufigsten begangen, wo die Beweise schwer sind.

§. 93.
Probatio plus und minus probans..

Ein Beweis kann zu viel, aber auch zu wenig beweisen. Im letztern Falle beweist er nur einen Theil von dem, was bewiesen werden soll, im erstern geht er auch auf das, welches falsch ist.

  • Anmerk. Ein Beweis, der zu wenig beweist, kann wahr sein und ist also nicht zu verwerfen. Beweist er aber zu viel: so beweist er mehr, als was wahr ist; und das ist denn falsch. So beweist z. B. der Beweis wider den Selbstmord: daß, wer sich nicht das Leben gegeben, es sich auch nicht nehmen könne, zu viel; denn aus diesem Grunde dürften wir auch keine Thiere tödten. Er ist also falsch.

II.
Allgemeine Methodenlehre.

§. 94.
Manier und Methode.

Alle Erkenntniß und ein Ganzes derselben muß einer Regel gemäß sein. (Regellosigkeit ist zugleich Unvernunft.) Aber diese Regel ist entweder die der Manier (frei) oder die der Methode (Zwang).

§. 95.
Form der Wissenschaft. Methode.

Die Erkenntniß, als Wissenschaft, muß nach einer Methode eingerichtet sein. Denn Wissenschaft ist ein Ganzes der Erkenntniß als System und nicht blos als Aggregat. Sie erfordert daher eine systematische, mithin nach überlegten Regeln abgefaßte Erkenntniß.

§. 96.
Methodenlehre. Gegenstand und Zweck derselben.

Wie die Elementarlehre in der Logik die Elemente und Bedingungen der Vollkommenheit einer Erkenntniß zu ihrem Inhalt hat: so hat dagegen die allgemeine Methodenlehre, als der andre Theil der Logik, von der Form einer Wissenschaft überhaupt, oder von der Art und Weise zu handeln, das Mannigfaltige der Erkenntniß zu einer Wissenschaft zu verknüpfen.

§. 97.
Mittel zu Beförderung der logischen Vollkommenheit der Erkenntniß.

Die Methodenlehre soll die Art vortragen, wie wir zur Vollkommenheit des Erkenntnisses gelangen. Nun besteht eine der wesentlichsten logischen Vollkommenheiten des Erkenntnisses in der Deutlichkeit, der Gründlichkeit und systematischen Anordnung derselben zum Ganzen einer Wissenschaft. Die Methodenlehre wird demnach hauptsächlich die Mittel anzugeben haben, durch welche diese Vollkommenheiten des Erkenntnisses befördert werden.

§. 98.
Bedingungen der Deutlichkeit des Erkenntnisses.

Die Deutlichkeit der Erkenntnisse und ihre Verbindung zu einem systematischen Ganzen hängt ab von der Deutlichkeit der Begriffe sowohl in Ansehung dessen, was in ihnen, als in Rücksicht auf das, was unter ihnen enthalten ist.

Das deutliche Bewußtsein des Inhalts der Begriffe wird befördert durch Exposition und Definition derselben, das deutliche Bewußtsein ihres Umfanges dagegen durch die logische Eintheilung derselben. Zuerst also hier von den Mitteln zu Beförderung der Deutlichkeit der Begriffe in Ansehung ihres Inhalts.

I. Beförderung der logischen Vollkommenheit des Erkenntnisses durch Definition, Exposition und Beschreibung der Begriffe.

§. 99.
Definition.

Eine Definition ist ein zureichend deutlicher und abgemessener Begriff (conceptus rei adaequatus in minimis terminis, complete determinatus).

  • Anmerk. Die Definition ist allein als ein logisch vollkommener Begriff anzusehen, denn es vereinigen sich in ihr die beiden wesentlichsten Vollkommenheiten eines Begriffs: die Deutlichkeit und die Vollständigkeit und Präcision in der Deutlichkeit (Quantität der Deutlichkeit).

§. 100.
Analytische und synthetische Definition.

Alle Definitionen sind entweder analytisch oder synthetisch. Die erstern sind Definitionen eines gegebenen, die letztern Definitionen eines gemachten Begriffs.

§. 101.
Gegebene und gemachte Begriffe a priori und a posteriori.

Die gegebenen Begriffe einer analytischen Definition sind entweder a priori oder a posteriori gegeben; so wie die gemachten Begriffe einer synthetischen Definition entweder a priori oder a posteriori gemacht sind.

§. 102.
Synthetische Definitionen durch Exposition oder Construction.

Die Synthesis der gemachten Begriffe, aus welcher die synthetischen Definitionen entspringen, ist entweder die der Exposition (der Erscheinungen) oder die der Construction. Die letztere ist die Synthesis willkürlich gemachter, die erstere, die Synthesis empirisch, d. h. aus gegebenen Erscheinungen, als der Materie derselben, gemachter Begriffe (conceptus factitii vel a priori vel per synthesin empiricam). Willkürlich gemachte Begriffe sind die mathematischen.

  • Anmerk. Alle Definitionen der mathematischen und, wofern anders bei empirischen Begriffen überall Definitionen Statt finden könnten, auch der Erfahrungsbegriffe, müssen also synthetisch gemacht werden. Denn auch bei den Begriffen der letztern Art, z. B. den empirischen Begriffen Wasser, Feuer, Luft u. dgl. soll ich nicht zergliedern, was in ihnen liegt, sondern durch Erfahrung kennen lernen, was zu ihnen gehört. Alle empirischen Begriffe müssen also als gemachte Begriffe angesehen werden, deren Synthesis aber nicht willkürlich, sondern empirisch ist.

§. 103.
Unmöglichkeit empirisch synthetischer Definitionen.

Da die Synthesis der empirischen Begriffe nicht willkürlich, sondern empirisch ist und als solche niemals vollständig sein kann (weil man in der Erfahrung immer noch mehr Merkmale des Begriffs entdecken kann): so können empirische Begriffe auch nicht definirt werden.

  • Anmerk. Synthetisch lassen sich also nur willkürliche Begriffe definiren. Solche Definitionen willkürlicher Begriffe, die nicht nur immer möglich, sondern auch nothwendig sind, und vor Alle dem, was vermittelst eines willkürlichen Begriffs gesagt wird, vorangehen müssen, könnte man auch Declarationen nennen, sofern man dadurch seine Gedanken declarirt oder Rechenschaft von dem giebt, was man unter einem Worte versteht. Dies ist der Fall bei den Mathematikern.

§. 104.
Analytische Definitionen durch Zergliederung a priori oder a posteriori gegebene Begriffe.

Alle gegebenen Begriffe, sie mögen a priori oder a posteriori gegeben sein, können nur durch Analysis definirt werden. Denn gegebene Begriffe kann man nur deutlich machen, sofern man die Merkmale derselben successiv klar macht. Werden alle Merkmale eines gegebenen Begriffs klar gemacht, so wird der Begriff vollständig deutlich, enthält er auch nicht zu viel Merkmale, so ist er zugleich präcis und es entspringt hieraus eine Definition des Begriffs.

  • Anmerk. Da man durch keine Probe gewiß werden kann, ob man alle Merkmale eines gegebenen Begriffs durch vollständige Analyse erschöpft habe: so sind alle analytischen Definitionen für unsicher zu halten.

§. 105.
Erörterungen und Beschreibungen.

Nicht alle Begriffe können also, sie dürfen aber auch nicht alle definirt werden.

Es giebt Annäherungen zur Definition gewisser Begriffe; dieses sind theils Erörterungen (expositiones), theils Beschreibungen (descriptiones).

Das Exponiren eines Begriffs besteht in der an einander hängenden (successiven) Vorstellung seiner Merkmale, so weit dieselben durch Analyse gefunden sind.

Die Beschreibung ist die Exposition eines Begriffs, sofern sie nicht präcis ist.

  • Anmerk.
    1. Wir können entweder einen Begriff oder die Erfahrung exponiren. Das erste geschieht durch Analysis, das zweite durch Synthesis.
    2. Die Exposition findet also nur bei gegebenen Begriffen statt, die dadurch deutlich gemacht werden, sie unterscheidet sich dadurch von der Declaration, die eine deutliche Vorstellung gemachter Begriffe ist.
      Da es nicht immer möglich ist, die Analysis vollständig zu machen, und da überhaupt eine Zergliederung, ehe sie vollständig wird, erst unvollständig sein muß: so ist auch eine unvollständige Exposition, als Theil einer Definition, eine wahre und brauchbare Darstellung eines Begriffs. Die Definition bleibt hier immer nur die Idee einer logischen Vollkommenheit, die wir zu erlangen suchen müssen.
    3. Die Beschreibung kann nur bei empirisch gegebenen Begriffen Statt finden. Sie hat keine bestimmten Regeln und enthält nur die Materialien zur Definition.

§. 106.
Nominal- und Real-Definitionen.

Unter blosen Namen-Erklärungen oder Nominal-Definitionen sind diejenigen zu verstehen, welche die Bedeutung enthalten, die man willkürlich einem gewissen Namen hat geben wollen, und die daher nur das logische Wesen ihres Gegenstandes bezeichnen, oder blos zu Unterscheidung desselben von anderen Objecten dienen. Sach-Erklärungen oder Real-Definitionen hingegen sind solche, die zur Erkenntniß des Objects, seinen innern Bestimmungen nach, zureichen, indem sie die Möglichkeit des Gegenstandes aus innern Merkmalen darlegen.

  • Anmerk.
    1. Wenn ein Begriff innerlich zureichend ist, die Sache zu unterscheiden, so ist er es auch gewiß äußerlich, wenn er aber innerlich nicht zureichend ist: so kann er doch blos in gewisser Beziehung äußerlich zureichend sein, nämlich in der Vergleichung des Definitums mit anderen . Allein die unumschränkte äußere Zulänglichkeit ist ohne die innere nicht möglich.
    2. Erfahrungsgegenstände erlauben blos Nominalerklärungen. Logische Nominal Definitionen gegebener Verstandesbegriffe sind von einem Attribut hergenommen, Real-Definitionen hingegen aus dem Wesen der Sache, dem ersten Grunde der Möglichkeit. Die letztern enthalten also das, was jederzeit der Sache zukommt, das Realwesen derselben. Blos verneinende Definitionen können auch keine Real=Definitionen heißen, weil verneinende Merkmale wohl zur Unterscheidung einer Sache von anderen eben so gut dienen können als bejahende, aber nicht zur Erkenntniß der Sache ihrer innern Möglichkeit nach.
      In Sachen der Moral müssen immer Real-Definitionen gesucht werden, dahin muß alles unser Bestreben gerichtet sein. Real-Definitionen giebt es in der Mathematik, denn die Definition eines willkürlichen Begriffs ist immer real.
    3. Eine Definition ist genetisch, wenn sie einen Begriff giebt, durch welchen der Gegenstand a priori in concreto kann dargestellt werden; dergleichen sind alle mathematischen Definitionen.

§. 107.
Haupterfordernisse der Definition.

Die wesentlichen und allgemeinen Erfordernisse, die zur Vollkommenheit einer Definition überhaupt gehören, lassen sich unter den vier Hauptmomenten der Quantität, Qualität, Relation und Modalität betrachten:

  1. der Quantität nach, was die Sphäre der Definition betrifft müssen die Definition und das Definitum Wechselbegriffe (conceptus reciproci), und mithin die Definition weder weiter noch enger sein, als ihr Definitum;
  2. der Qualität nach muß die Definition ein ausführlicher und zugleich präciser Begriff sein;
  3. der Relation nach muß sie nicht tautologisch, d. i. die Merkmale des Definitums müssen, als Erkenntnißgründe desselben, von ihm selbst verschieden sein; und endlich
  4. der Modalität nach müssen die Merkmale nothwendig und also nicht solche sein, die durch Erfahrung hinzukommen.
  • Anmerk. Die Bedingung: daß der Gattungsbegriff und der Begriff des specifischen Unterschiedes (genus und differentia specifica) die Definition ausmachen sollen, gilt nur in Ansehung der Nominal-Definitionen in der Vergleichung, aber nicht für die Real-Definitionen in der Ableitung.

§. 108.
Regeln zu Prüfung der Definitionen.

Bei Prüfung der Definitionen sind vier Handlungen zu verrichten; es ist nämlich dabei zu untersuchen, ob die Definition

  1. als ein Satz betrachtet, wahr sei; ob sie
  2. als ein Begriff, deutlich sei;
  3. ob sie als ein deutlicher Begriff auch ausführlich; und endlich
  4. als ein ausführlicher Begriff zugleich bestimmt, d. i. der Sache selbst adäquat sei.

§. 109.
Regeln zu Verfertigung der Definitionen.

Eben dieselben Handlungen, die zu Prüfung der Definition gehören, sind nun auch beim Verfertigen derselben zu verrichten. Zu diesem Zweck suche also : 1) wahre Sätze, 2) solche, deren Prädicat den Begriff der Sache nicht schon voraussetzt, 3) sammle deren mehrere und vergleiche sie mit dem Begriffe der Sache selbst, ob sie adäquat sei, und endlich 4) siehe zu, ob nicht ein Merkmal im anderen liege oder demselben subordinirt sei.

  • Anmerk.
    1. Diese Regeln gelten, wie sich auch wohl ohne Erinnerung versteht, nur von analytischen Definitionen. Da man nun hier nie gewiß sein kann, ob die Analyse vollständig gewesen: so darf man die Definition auch nur als Versuch aufstellen und sich ihrer nur so bedienen, als wäre sie keine Definition. Unter dieser Einschränkung kann man sie doch als einen deutlichen und wahren Begriff brauchen und aus den Merkmalen desselben Corollarien ziehen. Ich werde nämlich sagen können: dem der Begriff des Definitums zukommt, kommt auch die Definition zu, aber freilich nicht umgekehrt, da die Definition nicht das ganze Definitum erschöpft.
    2. Sich des Begriffs vom Definitum bei der Erklärung bedienen, oder das Definitum bei der Definition zum Grunde legen, heißt durch einen Zirkel erklären (circulus in definiendo).

II. Beförderung der Vollkommenheit des Erkenntnisses durch logische Eintheilung der Begriffe.

§. 110.
Begriff der logischen Eintheilung.

Ein jeder Begriff enthält ein Mannigfaltiges unter sich, in so fern es übereinstimmt; aber auch, in so fern es verschieden ist. Die Bestimmung eines Begriffs in Ansehung alles Möglichen, was unter ihm enthalten ist, sofern es einander entgegengesetzt, d. i. von einander unterschieden ist, heißt die logische Eintheilung des Begriffs. Der höhere Begriff heißt der eingetheilte Begriff (divisum), und die niedrigern Begriffe die Glieder der Eintheilung (membra dividentia).

  • Anmerk.
    1. Einen Begriff theilen und ihn eintheilen ist also sehr verschieden. Bei der Theilung des Begriffs sehe ich, was in ihm enthalten ist (durch Analyse), bei der Eintheilung betrachte ich, was unter ihm enthalten ist. Hier theile ich die Sphäre des Begriffs, nicht den Begriff selbst ein. Weit gefehlt also, daß die Eintheilung eine Theilung des Begriffs sei: so enthalten vielmehr die Glieder der Eintheilung mehr in sich als der eingetheilte Begriff.
    2. Wir gehen von niedrigern zu höhern Begriffen hinauf und nachher können wir wieder von diesen zu niedrigern herabgehen, durch Eintheilung.

§. 111.
Allgemeine Regeln der logischen Eintheilung.

Bei jeder Eintheilung eines Begriffs ist darauf zu sehen:

  1. daß die Glieder der Eintheilung sich ausschließen oder einander entgegengesetzt seien; daß sie ferner
  2. unter einen höhern Begriff (conceptum communem) gehören, und daß sie endlich3)
  3. alle zusammengenommen die Sphäre des eingetheilten Begriffs ausmachen oder derselben gleich seien.
  • Anmerk. Die Glieder der Eintheilung müssen durch contradictorische Entgegensetzung, nicht durch ein bloses Widerspiel (contrarium) von einander getrennt sein.

§. 112.
Codivision und Subdivision.

Verschiedene Eintheilungen eines Begriffes, die in verschiedener Absicht gemacht werden, heißen Nebeneintheilungen; und die Eintheilung der Glieder der Eintheilung wird eine Untereintheilung (subdivisio) genannt.

  • Anmerk.
    1. Die Subdivision kann ins Unendliche fortgesetzt werden, comparativ aber kann sie endlich sein. Die Codivision geht auch, besonders bei Erfahrungsbegriffen, ins Unendliche; denn wer kann alle Relationen der Begriffe erschöpfen?
    2. Man kann die Codivision auch eine Eintheilung nach Verschiedenheit der Begriffe von demselben Gegenstande (Gesichtspunkte), so wie die Subdivision eine Eintheilung der Gesichtspunkte selbst nennen.

§. 113.
Dichotomie und Polytomie.

Eine Eintheilung in zwei Glieder heißt Dichotomie; wenn sie aber mehr als zwei Glieder hat, wird sie Polytomie genannt.

  • Anmerk.
    1. Alle Polytomie ist empirisch; die Dichotomie ist die einzige Eintheilung aus Principien a priori, also die einzige primitive Eintheilung. Denn die Glieder der Eintheilung sollen einander entgegengesetzt sein und von jedem A ist doch das Gegentheil nichts mehr als non A.
    2. Polytomie kann in der Logik nicht gelehrt werden; denn dazu gehört Erkenntniß des Gegenstandes. Dichotomie aber bedarf nur des Satzes des Widerspruchs, ohne den Begriff, den man eintheilen will, dem Inhalte nach, zu kennen. Die Polytomie bedarf Anschauung; entweder a priori, wie in der Mathematik (z. B. die Eintheilung der Kegelschnitte), oder empirische Anschauung, wie in der Naturbeschreibung. Doch hat die Eintheilung aus dem Princip der Synthesis a priori Trichotomie, nämlich: 1) den Begriff als die Bedingung, 2) das Bedingte, und 3) die Ableitung des letztern aus dem erstern.

§. 114.
Verschiedene Eintheilungen der Methode.

Was nun insbesondere noch die Methode selbst bei Bearbeitung und Behandlung wissenschaftlicher Erkenntnisse betrifft: so giebt es verschiedene Hauptarten derselben, die wir nach folgender Eintheilung hier angeben können.

§. 115.
1. Scientifische oder populare Methode.

Die scientifische oder scholastische Methode unterscheidet sich von der popularen dadurch, daß jene von Grund- und Elementar-Sätzen, diese hingegen vom Gewöhnlichen und Interessanten ausgeht. Jene geht auf Gründlichkeit und entfernt daher alles Fremdartige; diese zweckt auf Unterhaltung ab.

  • Anmerk. Diese beiden Methoden unterscheiden sich also der Art und nicht dem blosen Vortrage nach; und Popularität in der Methode ist mithin etwas anders als Popularität im Vortrage.

§. 116.
2. Systematische oder fragmentarische Methode.

Die systematische Methode ist der fragmentarischen oder rhapsodistischen entgegengesetzt. Wenn man nach einer Methode gedacht hat, und sodann diese Methode auch im Vortrage ausgedrückt und der Uebergang von einem Satze zum anderen deutlich angegeben ist, so hat man ein Erkenntniß systematisch behandelt. Hat man dagegen nach einer Methode zwar gedacht, den Vortrag aber nicht methodisch eingerichtet: so ist eine solche Methode rhapsodistisch zu nennen.

  • Anmerk. Der systematische Vortrag wird dem fragmentarischen, so wie der methodische dem tumultuarischen entgegengesetzt. Der methodisch denkt, kann nämlich systematisch oder fragmentarisch vortragen. Der äußerlich fragmentarische, an sich aber methodische Vortrag ist aphoristisch.

§. 117.
3. Analytische oder synthetische Methode.

Die analytische Methode ist der synthetischen entgegengesetzt. Jene fängt von dem Bedingten und Begründeten an und geht zu den Principien fort (a principiatis ad principia), diese hingegen geht von den Principien zu den Folgen oder vom Einfachen zum Zusammengesetzten. Die erstere könnte man auch die regressive, so wie die letztere die progressive nennen.

  • Anmerk. Die analytische Methode heißt auch sonst die Methode des Erfindens. Für den Zweck der Popularität ist die analytische, für den Zweck der wissenschaftlichen und systematischen Bearbeitung des Erkenntnisses aber ist die synthetische Methode angemessener.

§. 118.
Syllogistische, tabellarische Methode.

Die syllogistische Methode ist diejenige, nach welcher in einer Kette von Schlüssen eine Wissenschaft vorgetragen wird.

Tabellarisch heißt diejenige Methode, nach welcher ein schon fertiges Lehrgebäude in seinem ganzen Zusammenhange dargestellt wird.

§. 119.
5. Akroamatische oder erotematische Methode.

Akroamatisch ist die Methode, sofern Jemand allein lehrt, erotematisch, sofern er auch frägt. Die letztere Methode kann hinwiederum in die dialogische oder sokratische und in die katechetische eingetheilt werden, je nachdem die Fragen entweder an den Verstand, oder blos an das Gedächtniß gerichtet sind.

  • Anmerk. Erotematisch kann man nicht anders lehren als durch den Sokratischen Dialog, in welchem sich beide fragen und auch wechselweise antworten müssen, so daß es scheint, als sei auch der Schüler selbst Lehrer. Der Sokratische Dialog lehrt nämlich durch Fragen, indem er den Lehrling seine eigenen Vernunftprincipien kennen lehrt und ihm die Aufmerksamkeit darauf schärft. Durch die gemeine Katechese aber kann man nicht lehren, sondern nur das, was man akroamatisch gelehrt hat, abfragen. Die katechetische Methode gilt daher auch nur für empirische und historische, die dialogische dagegen für rationale Erkenntnisse.

§. 120.
Meditiren.

Unter Meditiren ist Nachdenken oder ein methodisches Denken zu verstehen. Das Meditiren muß alles Lesen und Lernen begleiten, und es ist hierzu erforderlich, daß man zuvörderst vorläufige Untersuchungen anstelle und sodann seine Gedanken in Ordnung bringe oder nach einer Methode verbinde.


Quelle:
Gottlob Benjamin Jäsche [Herausg.]: Immanuel Kant′s Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen. 1800.
in:
Gustav Hartenstein [Herausg.]: Immanuel Kant′s Werke. Gesamtausgabe in Zehn Bänden. Erster Band. Leipzig, 1838.

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